Mittwoch, 14. August 2019

Afghanistan, Syrien, Libyen: Friedhöfe - wegen der völlig falschen Politik der USA

Afghanistan,
Syrien,
Libyen:
 



Friedhöfe - wegen der völlig falschen Politik der USA und ihrer Allianz der Gutwilligen und sonstigen Trabanten
- so klar und scharf äussert sich der weiche Florian Harms in seinem Kommentar nicht, aber darum geht es:


«Zalmay Khalilzad ist ein Mann voller Hoffnung. Er verhandelt für die USA mit ihrem Erzfeind, den Taliban, und wie man hört, kommen die Gespräche gut voran. Die Amerikaner wollen dringend eine Einigung, die ihnen den schnellen, gesichtswahrenden Abzug aus Afghanistan ermöglicht. Das geht auch uns in Deutschland etwas an. Ohne die logistische Unterstützung durch die USA ist es mit der Bundeswehr-Mission am Hindukusch ebenfalls vorbei. Im Gegenzug sollen die Taliban zusichern, die günstige Gelegenheit nicht zum militärischen Durchmarsch zu nutzen. Und von der Beherbergung islamistischer Terrorgruppen wie al-Qaida möge man doch bitte auch absehen. Wir dürfen gespannt sein, wie die Amerikaner sicherstellen, dass diese Bedingungen eingehalten werden. Die Taliban sind so stark wie seit ihrer Entmachtung vor 18 Jahren nicht mehr. Trotz des jahrelangen Militäreinsatzes, trotz all der Milliarden an Entwicklungsgeld.
Wie konnte es so weit kommen? Als die Taliban im Jahr 2001 von der Macht vertrieben waren, herrschte Aufbruchsstimmung. Das deutsche Truppenkontingent wurde mit Optimismus begrüßt. Vielleicht erinnern Sie sich noch, wie groß die Hoffnungen waren, die viele Afghanen in die Helfer aus dem Westen setzten. Doch schon 2004 begann die Stimmung zu kippen. Die Amerikaner waren längst mit ihrem nächsten Regimewechsel im Irak beschäftigt und hatten leider keine Zeit, sorry. Der Neuanfang in Kabul erwies sich als leeres Gerede, die Koalitionäre aus dem Westen überließen korrupten Warlords das Tagesgeschäft.
Es gibt historische Chancen, die nicht wiederkommen. "Window of opportunity" heißt das griffig auf Englisch, ein Zeitfenster voller Möglichkeiten. Ein schönes Bild, das unsere Fähigkeit zur Gestaltung betont. Doch das Gemälde unserer Wirkungskraft hat eine hässliche Rückseite: Wenn das Fenster sich schließt, ist es mit den Möglichkeiten vorbei. Nicht nur in Afghanistan, wieder und wieder begegnet uns dasselbe Muster. Im Irak zum Beispiel. Diktator Saddam Hussein: entmachtet. Die Chance, mit seinem Erbe aufzuräumen? Schnell durch inkompetente Entscheidungen verspielt. Oder in Syrien: Als sich die Menschen gegen Baschar al-Assad und seine Schergen erhoben, da mussten wir erst einmal nachdenken, ob wir den demokratischen Kräften helfen oder lieber nur aus der Ferne zuwinken wollen. Das Ergebnis: bitter enttäuschte Hoffnungen, das Vakuum von brutalen Islamisten gefüllt. In Libyen: erst Hals über Kopf in den Luftkrieg gezogen, Diktator Gaddafi weggebombt, dann die Chance zum Wiederaufbau verpasst, das Land dem Chaos überlassen, Radikalisierung, Anarchie.
In allen diesen Fällen wurde die Gunst der Stunde nicht genutzt, und heute zahlen wir den Preis dafür. Jetzt müssen wir uns mit Brutstätten für islamistischen Terrorismus herumschlagen, mit Schlupfwinkeln für Schlepperbanden und Kriminelle. Flüchtlinge drängen aus den Krisenherden nach Europa, weil in Kabul Autobomben explodieren, in Syrien noch immer Artilleriegranaten in Wohnvierteln einschlagen und in Libyen nur noch das Recht des Stärkeren gilt. Wir sind gezwungen, Militärbasen am Hindukusch zu unterhalten, ohne dass sich damit die Hoffnung verbindet, die Lage dauerhaft zum Guten zu wenden. Wir sind nur in Afghanistan, um noch Schlimmeres zu verhindern.
Normalerweise ist unser Denken darauf ausgerichtet, Lösungen für Probleme zu finden, und das ist gut so. Doch vielleicht tun wir uns genau deshalb so schwer zu akzeptieren, dass der Verlauf der Geschichte unumkehrbar ist. Und dass uns, wenn sich das Fenster der Möglichkeiten einmal geschlossen hat, die Konsequenzen unserer Versäumnisse jahrelang begleiten. Es wäre wünschenswert, dass sich dieser Gedanke stärker in den politischen Entscheidungen niederschlägt, wenn die nächste Krise ansteht. Dann müsste Zalmay Khalilzad nicht mit den Taliban verhandeln und kein Mann voller Hoffnung sein. Sondern einer, der nur irgendein Problem lösen muss.»

Quelle: «t-online.de» vom 14.08.2019, Florian Harms