Samstag, 9. März 2019

So hat die deutsche Automobilindustrie gelogen und betrogen - ohne Not

So hat die deutsche
Automobilindustrie
gelogen und betrogen - ohne Not.


Es ging nur um eine Kosteneinsparung, denn: Technische Lösungen waren den Autobauern zu teuer

Amag (VW Schweiz) will davon nichts gewusst haben?

Bitte lesen Sie:
Handelsblatt vom Samstag, den 09.03.2019:


«Hersteller entschieden sich für billigste Lösung

Die Deutschen ließen sich von ihrer Dieselnot nicht bremsen. Vor allem Volkswagen und Audi hatten Nachholbedarf in den USA, dem damals größten Automarkt der Welt. Dort aber war der Diesel als Dreckschleuder verschrien. Gerade die in den USA so beliebten großen Sportwagen würden als Diesel schrecklich stinken, so die Wahrnehmung. Volkswagen und Audi starteten darauf ihre „Clean-Diesel“-Kampagne. Mit viel Marketingetat und lustigen Werbefilmchen bauten sie Vorbehalte ab und machten den Diesel autosalonfähig. Der Verkauf zog stark an.
 

„Es gibt diverse Beweise für geheime Absprachen zwischen Autobauern“
Doch im Hintergrund herrschte nervöses Treiben. Eigentlich, so die Vorschriften in den USA, durfte die Harnstofflösung beim routinemäßigen Termin in der Werkstatt nachgefüllt werden, wenn auch der Ölwechsel anstand. Zumindest Audi überlegte deshalb, ob man die Kunden nicht auf diese Weise einfangen könne. „Dann müssen wir notfalls das Ölwechselintervall anfassen, analog Toyota“, schrieb ein Manager dem anderen am 26.1.2009. Der japanische Konkurrent ließ seine Kunden schließlich alle 5000 Meilen die Werkstätten anlaufen. Weil Audi aber drei Jahre kostenlosen Service anbot, wären mehr Werkstattbesuche teuer geworden. 

Die Deutschen entschieden sich gemeinsam für die billigste Lösung.
Audi, BMW, Daimler, Porsche und VW kamen zu der Zeit überein, viel kleinere Adblue-Tanks in die Wagen einzubauen als nötig.
Gleichzeitig programmierten zumindest Volkswagen und Audi ihre Motoren so, dass sie erkannten, ob sich die Fahrzeuge auf der Straße befanden oder auf einem Teststand – zum Beispiel bei einer Umweltbehörde.

Dort schaltete die Software in den sauberen Modus. Da man auf diese Weise nun weniger Platz für Adblue-Tanks brauchte, sparte dies sowohl Gewicht als auch Kosten. Spuren wollte man freilich nicht hinterlassen. Aus einer Mail eines Entwicklungschefs am 1. April 2010 in Paris zur Deckelung der Adblue-Zufuhr: „Selbstbeschränkung wird befürwortet (Keine Protokollierung und Dokumentierung der Details!).“

Und die Abgase?
Die würden wohl zum Problem werden, wussten die Ingenieure schon früh. Wie genau die Autohersteller verfolgten, was in den Innenstädten passierte, wenn Millionen von Dieselfahrzeugen das Zigfache der erlaubten Stickstoffe ausstießen, zeigt eine Präsentation von Audi von Juli 2010. Zitat: „Die EU-Luftreinhalterichtlinien schreiben seit Anfang dieses Jahres eine Verschärfung der NO2-Immissionen auf einen jährlichen Richtwert von 40 µg/m³ vor.“

Die Ingenieure notierten die Folgen ganz nüchtern. Die EU-Staaten hätten allerdings nicht rechtzeitig Maßnahmen ergriffen, um diese Werte einzuhalten. „Dies zeigt sich daran, dass in 2008 in 21 EU-Mitgliedsstaaten in 270 Städten die NO2-Grenzwerte überschritten wurden. In London wurde der Stundengrenzwert heute schon mehr als 18 Mal überschritten.“
 

Autoabsatz in Deutschland: Was hinter dem deutschen Diesel-Wunder steckt
BMW betonte, dass es seit 2007 eine öffentliche Diskussion zu drohenden Fahrverboten gegeben habe: „Deshalb lag es nahe, dass sich auch die OEMs (die Hersteller, Anmerkung der Redaktion) mit diesen Fragestellungen und möglichen Lösungen beschäftigten.“ Daimler und VW äußerten sich nicht dazu.

Die Fahrzeughersteller schrieben selbst auf, dass ihre Dieselmotoren wohl einen Anteil an der Luftbelastung hatten. Die Ermittlungsbehörden haben inzwischen umfangreichen Chroniken erstellt. Auswertungen von Präsentationen wie der aus dem Jahr 2010 zeigen, wo genau die Berichtswege durch die verschiedenen Konzerne liefen und wie weit oben die Kenntnis der Dieselmanipulationen angesiedelt war. Laut dieser Darstellung endete sie zumindest bei Volkswagen und Audi erst mit dem Vorstandsvorsitzenden Martin Winterkorn und Rupert Stadler. Beide bestreiten eine Kenntnis von Manipulationen oder Absprachen.

Die US-Umweltbehörden machten mit Volkswagen einen kurzen Prozess. Der Konzern unterschrieb ein Schuldanerkenntnis. In Deutschland laufen Tausende von Klagen. Das Kraftfahrt-Bundesamt ordnete gegen alle BMW, Daimler und Volkswagen Rückrufe an, damit sie Dieselmotoren nachrüsten.
Daimler schert aus


Vieles in der Abgasaffäre hielten die Konzerne bisher im Dunkeln. Bei Licht besehen zeigt sich immerhin eine zutreffende Vorhersage. Die viel zu hohen Abgaswerte würden eine „erneute Dieseldiskussion entfachen, da der Diesel-Pkw als Hauptursache der NO2-Überschreitung in den Städten gesehen wird“, hieß es in einer Audi-Präsentation im Juli 2010. Und weiter: „Als Lösung wird die möglichst schnelle Einführung einer wirksamen NO2-Abgasnachbehandlung gesehen.“ Diese solle nicht nur auf dem Teststand den Ausstoß von Stickoxiden verringern, sondern auch im Straßenverkehr.

Schön wäre das gewesen, doch die Ingenieure kamen nur schleppend voran. Es dauerte vier Jahre, bis ein Konzern aus der Runde ausscherte. „Daimler hat die Absprache der Entwicklungsvorstände, dass alle OEMs den SCR-Tank minimal belassen (…) aufgekündigt“, meldete ein Audi-Manager seinen Mitarbeitern im März 2014. Fortan verbaute Daimler größere Tanks, die eine höhere Einspritzung von Adblue in den Abgasstrom erlaubten. Später tat dies auch BMW. Inzwischen hatte man die technischen Probleme gelöst.

Die Makel der Vergangenheit wurden die deutschen Fahrzeughersteller trotzdem nicht mehr los. Ob sich die VW-Mitarbeiter bei ihren Kollegen ab und zu darüber ausweinten, wie nahe die US-Behörden ausgerechnet ihrem Konzern beim Dieselschummeln kamen? Zu den Details ihres Vorgehens schweigen sich alle Konzerne aus. Fest steht, dass zumindest Daimler die Nähe zur vermeintlichen Konkurrenz nach einigen Jahren zu heiß wurde.

Im Februar 2014 eilten die Stuttgarter zum Bundeskartellamt, um der Behörde „mögliche Vergehen“ in ihren Häusern anzuzeigen. Zwei Jahre später folgte Volkswagen. BMW, 2007 von Audi als „Treiber der Adblue-Declaring“ beschrieben, bestreitet bis heute Absprachen und technische Manipulationen.

So wie sich vorher die Zusammenarbeit lohnte, mag sich zumindest für Daimler und Volkswagen auch ihr Ende auszahlen. Die Brüsseler Wettbewerbshüter können Bußgelder reduzieren oder ganz streichen, wenn ein Kartellteilnehmer sich als Kronzeuge andient. Vier Jahre dauern die Ermittlungen der EU-Kartellbehörde nun schon. Auf vielen der belastenden Unterlagen prangt neben dem Logo auch das Motto von Audi: Vorsprung durch Technik. Mehr davon hätte sicher geholfen. Aber es war ja nur ein Werbespruch.

Mehr:
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Zudem:
VW, Daimler und BMW   
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t-online.de vom Freitag, den 08.03.2019, 16:42 Uhr | AFP, dpa
 
Link:
https://www.t-online.de/finanzen/boerse/news/id_85375248/vw-daimler-und-bmw-deutschen-autobauern-droht-milliarden-bussgeld.html?fbclid=IwAR382RAmk-NoGOcbrkK8UzaFNsUa5lTCa1zdeTiFYpYfUf1le-LVR-AkNMI