Heimat

Seit einigen Wochen streitet
die Republik um Begriffe, die vielen längst überholt erschienen waren:
Zusammenhalt und Zusammengehörigkeit, Heimat und Identität. Auslöser war das
Ergebnis der Bundestagswahl im September 2017, in dem die tiefe Verunsicherung
von Millionen von Wählern und Wählerinnen zu spüren war. Wir würden nicht über
Zusammenhalt, wir würden nicht über Heimat, wir würden nicht über das Bedürfnis
nach Gemeinschaft und die Bewahrung kultureller Identitäten sprechen, wenn es
nicht eine tiefe und spürbare Verunsicherung über die mannigfaltigen Folgen
einer nun seit dem Ende des Kalten Krieges sich vollziehenden und
Globalisierung genannten Entgrenzung aller Lebensverhältnisse gäbe. Eine
Entgrenzung, deren gesellschaftliche Folgen alle westlichen Gesellschaften erfasst
und zu politischen Verwerfungen geführt haben.
Das Projekt der
Globalisierung, das sich in den wirtschaftlichen Eliten im wahrsten Sinne des
Wortes positiv ausgezahlt hat, ist zum überragenden politischen Problem der
kleinen Leute geworden. Den immensen wirtschaftlichen Vorteilen einiger weniger
stehen mehr denn je tägliche Verunsicherungen und Ängste von Millionen von der
Globalisierung Betroffener gegenüber. Dies ist die Ausgangssituation der großen
Koalition von CDU/CSU und SPD, die deswegen im Titel des Koalitionsvertrages
die Forderung nach einem neuen Zusammenhalt erhebt. Zusammenhalt ist damit eine
der wichtigsten Antworten auf das Votum der Wähler. Alltagsprobleme der
Menschen anzupacken und für Zusammenhalt und gleichwertige Lebensverhältnisse in
einer immer unübersichtlicheren Lebenswirklichkeit zu sorgen, das ist das
Kernanliegen deutscher Innenpolitik.
Warum brauchen wir einen
neuen Zusammenhalt? Die Antwort auf diese Frage ist zugleich der Schlüssel zu
Begriffen wie Heimat, Zusammengehörigkeit, Zuwanderung und Integration im Sinne
von zugehörig sein. Die Alltagswelt der Menschen hat sich seit dem Ende des
Kalten Krieges rasant verändert, insbesondere durch den vermeintlichen
Siegeszug des ökonomischen Liberalismus. Dessen oberste Maxime war und ist die
Selbstregulierungsfähigkeit freiheitlicher Systeme auf der Basis möglichst
unregulierter und grenzenloser Märkte. Am Abend der Bundestagswahl des
vergangenen Jahres mussten wir alle feststellen, dass Ernüchterung und
Enttäuschung das Wahlverhalten bestimmt hatten. Ernüchterung und Enttäuschung
bei vielen Wählern und Wählerinnen über die Alltagsfolgen der Globalisierung
und ihrer Entgrenzungen.
Die vorübergehende
unkontrollierte Massenzuwanderung nach Deutschland war das sichtbarste, aber
bei weitem nicht einzige Phänomen, das Unruhe und Unsicherheit ausgelöst hatte.
Immer kurzlebigere Arbeitsverhältnisse, die Entgrenzung von Arbeitszeit und
freier Zeit mittels neuer Technologien, die rasanten Veränderungen in
städtischen Lebensverhältnissen, von denen der Anstieg der Mietpreise und die
Verknappung des Wohnraums zu nennen sind, die gleichzeitige Entleerung und
Verödung ländlicher Räume, die Zunahme außenpolitischer Konflikte und deren
Ausstrahlung auf das Alltagsleben in Deutschland, die prekäre Situation der
Europäischen Union und der Eurozone – dies alles sind Teile einer Gefühlslage
vieler Menschen, die an Gemälde von Hieronymus Bosch erinnert. Sie fühlen sich
vom Umfang und der Geschwindigkeit der Veränderungen trotz wirtschaftlich guter
Lage überfordert und orientierungslos zurückgelassen.
Viele Menschen sind
heimatlos, ratlos und suchen nach Erklärungen und Erzählungen. Es tritt
vermehrt ein Phänomen hervor, vor dem die Väter und Mütter des Ordoliberalismus
schon vor mehr als achtzig Jahren gewarnt haben: die Überforderung durch
Freiheit ohne Ordnung. Der Schriftsteller Karl-Heinz Ott beschrieb es im Mai
2016 in dieser Zeitung sehr treffend: „Freiheit ist nicht ungefährlich. Sie ist
auch nicht nur gemütlich. Wer nach Halt giert und nach Gewissheit, für den ist
sie eine Zumutung...Freiheit ist keine nette Beigabe zum Leben. Man muss sich
ihr aussetzen und sie ertragen.“
Es scheint nun aber so,
als lebten wir in Zeiten, in denen der Mensch als Folge von zu viel
Entgrenzung, von zu viel Ungewissheit, von zu viel ungeordneter Freiheit nach
Halt strebt. Der Soziologe Andreas Reckwitz skizziert in seinem Buch „Die
Gesellschaft der Singularitäten“ eine Gesellschaft der Ichlinge, der
Selbstoptimierer, der vermeintlich Besonderen. Sie folgen allesamt nur zu oft
einer falschen, von Marktgläubigkeit inspirierten Erzählung, wonach Optimierung
und Maximierung der Sinn des Lebens seien. Reckwitz verdeutlicht, wie sehr der
uralte Konflikt zwischen Freiheit und Ordnung, zwischen Veränderung und
Tradition als Folge der Entgrenzungen der bislang vornehmlich wirtschaftlich
und technologisch bestimmten Globalisierung die politische Debatte prägt. Es
ist ein Kampf um die Bewahrung des Traditionellen, des Heimischen, des
Allgemeinen, des Verbindenden und des Kollektiven. Und das ist wahrlich keine
neue Konfliktlinie, weder zwischen noch in den politischen Lagern. Die
Kopfprämie in der Gesundheitspolitik und die Ich-AG der Hartz-IV-Gesetzgebung
sind und waren Metaphern dieses Kampfes.
Wo aber findet nun der
Mensch den Halt, den er sucht? Der Halt wird gefunden im Zusammensein mit
anderen. Daher spricht man ja auch vom Zusammenhalt. Halt gibt es nur zwischen
mindestens zwei Menschen. Kinder finden ihren ersten Halt im Zusammensein mit
Eltern, mit Geschwistern und Freunden. Erlebt wird dieser erste Zusammenhalt in
Räumen, die man gewöhnlich als das Zuhause im engeren und die Heimat im
weiteren Sinn bezeichnet. Heimat ist somit eine ganz grundlegende und jeden
Menschen berührende, nachhaltige Erfahrung mit anderen Menschen in mehr oder
weniger eingrenzbaren Räumen. Mein früherer Ministerpräsidentenkollege aus
Stuttgart, Winfried Kretschmann, beschrieb es unlängst an dieser Stelle sehr
sympathisch: „Die Landschaften, die wir kennen und in denen wir uns wohl
fühlen, sind für uns Heimat.“
Heimat hat also bei jedem
Menschen eine räumliche, aber auch eine zeitliche Dimension. Denn Heimat
definiert auch die eigene Herkunft, die Prägung, die eigene Identität. Und weil
wir dies in der Regel gemeinsam mit anderen Menschen erleben, ist die Heimat
ein Begriff für das Werden mit anderen, sie bestimmt in der Regel gemeinsame
Prägungen und Findungen. Oder wie es der ehemalige Bundesaußenminister Joschka
Fischer in einem Interview über Heimat zum Ausdruck brachte: „Es gibt so etwas
wie eine kollektive Identität.“
Heimat, das sind die
Orte, die uns Halt und Identität geben. Wer nach Heimat fragt, erhält von den
Menschen eine Antwort. Jeder kann von Heimat erzählen. Und jeder macht es
anders. Das beginnt schon in den Regionen. In unserem Land gibt es Hessen,
Pfälzer, Thüringer und Bayern. Es gibt die Rheinländer, die Westfalen, die
Sachsen, Berliner und Niedersachsen. Es gibt ein Heimatland, aber jeder hat
seine ganz eigene Heimat darin. Viele haben sogar mehr als eine Heimat, sie
haben Heimaten. Heimatpolitik ist daher stets eine Politik der Vielfalt.
Wenn man wie ich der
Meinung ist, dass die unbegrenzte Freiheit des Einzelnen ohne die Gemeinschaft
mit anderen leer und unbehaglich ist, und wenn man ferner meine Einschätzung
teilen mag, dass wir es nicht wie im Kernland des europäischen Neoliberalismus,
in Großbritannien, erst zu einem Ministerium für Einsamkeit kommen lassen
sollten, dann gilt es nun, über den richtigen Weg zu mehr Zusammenhalt zu
streiten. Für mich ist der Begriff der Heimat zentral, weil er in seiner
Vielfältigkeit weniger streitbelastet ist als Leitkultur oder Nation. Vor allem
aber, weil Deutschland seit Jahrhunderten der Ort in der Mitte Europas ist, der
Menschen zur Heimat wurde, indem sie hier Halt fanden, sich geborgen, sich
früher oder später zugehörig fühlten und zugehörig sein wollten, sich aus
eigenem Antrieb „integrierten“ und somit letztlich den Zusammenhalt in unserem
Land stärkten.
Über die Jahrhunderte
hinweg bis in die Gegenwart gibt es unzählige imposante Beispiele für die
Fähigkeit Deutschlands, unterschiedlichsten Menschen zur Heimat zu werden.
Stellvertretend für alle diese Menschen möchte ich Ugur Bagislayici nennen,
besser bekannt als der Kabarettist Django Asül, dessen Spott und Häme ich in
Bayern oft beim Starkbieranstich auf dem Nockherberg genießen durfte. Menschen
wie er sind Teil meiner Heimat, wir gehören zusammen, und ich möchte sie nicht
missen.
Es geht beim Zusammenhalt
eben immer nur um Menschen, die eine Heimat teilen und sich zusammengehörig fühlen.
Kern meines Denkens ist daher auch der Satz, dass die in Deutschland lebenden
Menschen aus anderen Regionen und Kulturen der Welt selbstverständlich ein Teil
dieses Landes sind. Wenn diese Menschen Deutschland als ihre Heimat betrachten,
wenn sie sich mit den Gebräuchen, Traditionen und Denkweisen und
Lebensverhältnissen hier identifizieren und sie teilen wollen, dann ist der
Prozess der Integration letztlich ein leichter Weg des bewussten und gewollten
Dazugehörens.
Der Gesetzgeber knüpft
daher in bewährter Güterabwägung im Aufenthalts- und Staatsangehörigkeitsrecht
eben Bedingungen der Integrations- oder sagen wir besser
Zugehörigkeitswilligkeit des Zuwanderers an die Vergabe der unterschiedlichen
Aufenthaltstitel. Wer dazugehören will, für den ist Integration selten ein
Problem – zumal Zuwanderer hierzulande nicht nur gefordert, sondern auch massiv
gefördert werden.
Das Integrieren, das
Sich-in-eine-Gruppe-Einbringen
und Zugehörig-sein-Wollen, ist ein langwieriger und schwieriger psychologischer
Prozess. Er ist mit einem ständigen inneren Konflikt zwischen dem Bewahren des
Eigenen und der Hingabe an das Gemeinsame der anderen verbunden. Zwei
Bevölkerungsgruppen Deutschlands haben das in den vergangenen Jahrzehnten seit
der Gründung der Bundesrepublik erfahren müssen: die Millionen von
Heimatvertriebenen und – sehr oft übersehen – die Bürger und Bürgerinnen der
ehemaligen DDR. So manche im Wahlergebnis populistischer Parteien zum Ausdruck
gelangte Enttäuschung und Verletzung hat hier ihre Wurzeln – auch das treibt
mich an bei meiner Politik für Zusammenhalt und Heimat.
Ich habe mich als
Ministerpräsident Bayerns sehr viel und sehr gern mit den Erfolgsbedingungen
einer offenen Gesellschaft beschäftigt. Ich habe auch ein die ganze
Gesellschaft umfassendes Wertebündnis geschmiedet, das auch für den
Zusammenhalt in Deutschland Orientierung sein kann. Denn es unternimmt den
Versuch, jungen Menschen eine plural basierte Werteorientierung für das
Alltagsleben zu geben und in einer sich immer schneller verändernden und
komplexer werdenden Welt Halt zu finden.
Zwei zentrale Abschnitte
dieses Wertebündnisses verdeutlichen mein Denken, das ich in die Gestaltung der
deutschen Innenpolitik einbringen werde.
„Wir leben heute in einer
heterogener werdenden und durch vielfältige Veränderungen geprägten
Gesellschaft. Diese Wandlungsprozesse und das Zusammenleben von Menschen
unterschiedlicher Herkunft, unterschiedlicher sozialer Erfahrung und mit
verschiedenen ethnischen, kulturellen und religiösen Grundlagen bringen eine
Veränderung von Wertorientierungen mit sich. Deshalb muss das vorhandene
Wertefundament immer wieder aufs Neue definiert und Unverhandelbares deutlich
gemacht werden...Gerade junge Menschen wollen wertschätzende, verlässliche
Beziehungspartner, klare Vorbilder sowie Experimentierräume für die Gestaltung
ihres Lebens. Sie nehmen dabei Werte als Orientierungspunkte auf, die den
Zusammenhalt festigen, Freiheit und Demokratie stützen und die Verantwortung
für das Gemeinwohl stärken. Das ist ein Gewinn für jeden Einzelnen und für die
gesamte Gesellschaft.
In unserer demokratischen
Gesellschaft gibt es eine Vielzahl an Normen, Tugenden, Verhaltensregeln,
Gebräuchen, Gewohnheiten, kulturellen Gepflogenheiten und religiösen
Überzeugungen. Dahinter stehen Wertentscheidungen, die den Menschen oftmals
nicht oder nicht mehr bewusst sind. Diese Pluralität sowohl in den
Wertüberzeugungen als auch in den gesellschaftlichen Ausdrucksformen ist eine
Bereicherung und eine Chance. Im Umgang mit der Vielfalt steckt die Herausforderung,
sich eigener Überzeugungen zu vergewissern und sie im Vergleich und im Dialog
mit anderen zu überprüfen – auch und gerade dann, wenn Werte zueinander in
Konkurrenz treten und eine Abwägung und Priorisierung von Werten notwendig ist.
Bei aller Unterschiedlichkeit der Wertvorstellungen sind nicht verhandelbar:
die Menschenrechte als Grundlage von Gemeinschaft, Frieden und Gerechtigkeit,
die Demokratie, die Rechtsstaatlichkeit und die Gleichheit vor dem Gesetz, die
Freiheit der Person und die Achtung der Rechte anderer, das Recht auf Leben und
auf körperliche Unversehrtheit, das Recht auf Bildung und auf gesellschaftliche
Teilhabe, die Gleichberechtigung von Mann und Frau, die Fürsorge für Familie
und Kinder als Auftrag an die Gemeinschaft, die Freiheit des Glaubens, des
Gewissens, des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses und der
Religionsausübung und die Freiheit der Meinungsäußerung, der Presse, der Kunst
und der Wissenschaft.“
Es geht um Grenzziehungen
und um Orientierungen, es geht darum, den Raum der Zusammengehörigkeit
gemeinsam zu definieren. Vornehmlich mit von allen geteilten
Zugehörigkeitsmerkmalen. Dieses gilt es im Dialog zu erarbeiten. Zu diesem
Dialog gehört Ehrlichkeit. Man bringt eine Gesellschaft nicht zusammen, wenn man
Debatten nicht ehrlich führt. Daher steht für mich im Mittelpunkt, dass das
Menschenbild des aufgeklärten Christentums kulturgeschichtlich zu den Wurzeln
Deutschlands zählt und unsere grundgesetzliche Werteordnung prägt.
Das wird auch mein
politisches Handeln leiten. Ich werde für den neuen Zusammenhalt in unserem
Land drei aufeinander aufbauende Formate einberufen, zum einen eine Kommission
„Gleichwertige Lebensverhältnisse“, die sich in Abstimmung mit den Ländern und
gestützt auf die Erfahrungen und Nöte der Kommunen in Deutschland um die
wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Alltagsprobleme der kleinen Leute
kümmert. Da diese Kommission sich um die Belange aller in Deutschland lebenden
und Deutschland als ihr Zuhause und ihre Heimat anerkennenden Menschen sorgt,
werden die Fachkommission zur Integrationsfähigkeit und die Deutsche
Islamkonferenz sich dem Aufgabenbereich Zuwanderung sowie der Frage nach der
Entwicklung eines nach den Gepflogenheiten des deutschen
Religionsverfassungsrechts verfassten deutschen Islams für die in Deutschland
lebenden und sich hier zugehörig fühlenden Menschen muslimischen Glaubens und
muslimischer Abstammung widmen. Alle drei Dialog- und Verhandlungsformate sind
von dem Bemühen getragen, dass wir unsere offene Gesellschaft erhalten und
ihren inneren Zusammenhalt stärken wollen und müssen. Dabei darf es keine
Denkverbote geben. Defizite in der Daseinsvorsorge müssen ebenso benannt werden
wie interkulturelle Konflikte im Zusammenleben. Wir müssen den Mut haben, zu
sagen, was wir an Veränderung wollen und was wir für unveränderbar halten.
Ich bin sehr
optimistisch, dass wir durch den streitigen Diskurs in der Sache zu einem
besseren Zusammenhalt gelangen werden. Am Ende steht dann sicherlich die
Einsicht, dass das menschliche Grundbedürfnis nach Heimat mit
gesellschaftlichem Wandel und Mobilität durchaus vereinbar ist. Heimat wandelt
sich, Menschen sind oft in der Lage, mehrere Heimaten zu besitzen – und ich
möchte an Willy Brandt erinnern, der in einer Regierungserklärung 1973 die
Folgen der damals beginnenden Globalisierung ahnend sagte: „Unsere Bürger
suchen trotz des Streits der Interessen eine Heimat in der Gesellschaft, die
allerdings nie mehr ein Idyll sein wird – wenn sie es je war. Das Recht auf
Geborgenheit und das Recht, frei atmen zu dürfen, muss sich gegen die
Maßlosigkeit der technischen Entwicklung behaupten, die unserer Kontrolle zu
entgleiten droht.“
Erst in der vergangenen
Woche war in dieser Zeitung das Ergebnis einer Allensbach-Umfrage zum Thema
Heimat zu lesen, das mich in meiner Zuversicht gestärkt hat. Ohne nennenswerte
Unterschiede in den Generationen oder den politischen Orientierungen fühlten
sich fast 80 Prozent der Befragten ihrer Heimat sehr stark oder stark
verbunden. Dankenswerterweise befragte das Institut die Deutschen auch nach den
konkreten politischen Ausgestaltungen im Bereich Heimat und die Antworten
lauteten: Schaffung ähnlicher Lebensbedingungen, Erhalt und Schutz der Natur,
Erhalt von regionalen Bräuchen und Traditionen, Sicherstellung der
flächendeckenden ärztlichen Versorgung sowie die Vermittlung der deutschen
Sprache und Kultur an Zuwanderer. Das sind klare Aufträge an die Politik, die
mir seit Jahren auch immer wieder bei den zahllosen Begegnungen mit den
Menschen in Deutschland gegeben wurden und die meinem Handeln in der Politik
als Bundesinnenminister eine klare Leitlinie geben.
In den Debatten höre ich
oft: Heimat könne nicht vom Staat verordnet werden. Deswegen sei es kein
geeignetes Thema für die Politik. Auch der gesellschaftliche Zusammenhalt könne
vom Staat nicht verordnet werden. Aber wer will ernsthaft bestreiten, dass sich
Politik um Zusammenhalt bemühen muss? Politik muss mit Herz und Verstand die
Themen aufnehmen, die die Menschen beschäftigen. Und wer mit offenen Augen und
Ohren durch das Land geht, der weiß: Das Thema treibt die Menschen um, denn wer
Heimat hat, für den werden Verluste fühlbar. Heimat geht verloren, wenn der
Ortskern verfällt, die Nachbarhäuser leer stehen, wenn Infrastruktur
verlorengeht, wenn in den Städten Wohnungen nicht mehr bezahlbar sind oder in
strukturschwächeren Räumen geliebte Menschen wegziehen, weil sie nur an anderen
Orten bessere Lebenschancen sehen.
Politik schafft nur
Vertrauen, wenn sie etwas für die Menschen tut. Daher ist für mich eine
heimatbezogene Innenpolitik eine Politik, die dort, wo Menschen in Deutschland
leben, deren Lebensverhältnisse verbessert.
Heimat beginnt in den
eigenen vier Wänden. Die Entwicklung der Mieten und des Wohneigentums ist das
brennendste soziale Problem heute und in der Zukunft. Deswegen ist Schaffung
von Wohnraum konkrete Heimatpolitik. Orte und Regionen sind Heimat. Den
schwächeren Orten und Regionen muss geholfen werden, angefangen bei der
Belebung von Orts- und Stadtkernen bis hin zu moderner Infrastruktur in den
Bereichen Mobilität, Energie und Digitalisierung.
Heimat ist aber nicht nur
der Ort, wo wir leben, es ist auch und vor allem die Art, wie wir leben. Diese
Art zu leben, unsere offene Gesellschaft, ist Teil unserer kulturellen
Identität. Die große Mehrheit der Deutschen ist zu Recht der Meinung, dass es
in unserem Land kulturelle Gepflogenheiten für ein gutes Miteinander gibt.
Unser Land ist kein neutrales Siedlungsgebiet, sondern aus ihm sind Traditionen
und eine ganz eigene Kultur erwachsen. Deshalb ist das Thema Integration mit
dem Thema Heimat verbunden. Hier muss eine Auseinandersetzung über das Ziel von
Integration begonnen werden. Nicht jeder, der über Arbeit, deutsche
Sprachkenntnisse und ein leeres Vorstrafenregister verfügt, ist zwangsläufig
integriert in unsere offene Gesellschaft. Das gilt für Zuwanderer wie auch für
deutsche Staatsbürger gleichermaßen.
Integration ist eine
fortwährende kulturelle Aufgabe, und ohne ein Mindestmaß an gemeinsamen
kulturellen Grundüberzeugungen kann unsere Gesellschaft nicht funktionieren.
Offenheit im Sinne von Beliebigkeit ist kein Ersatz für eigene Kultur. Dabei
geht es auch um Grenzziehungen. Wer unter dem Deckmantel von künstlerischer
Freiheit meint, gegen Juden, Frauen oder Homosexuelle hetzen zu können, dem
werden Grenzen aufgezeigt – und das muss auch so sein. Heimatbezogene
Innenpolitik bedeutet somit auch eine stärkere Betonung der kulturellen
Integration.
Heimat entsteht und ist
dort, wo Menschen zusammenleben und füreinander einstehen. Millionen Menschen
in Deutschland engagieren sich ehrenamtlich. In Vereinen, in der freiwilligen
Feuerwehr, beim Technischen Hilfswerk, in kirchlichen Einrichtungen,
Migrantenorganisationen und an vielen anderen Stellen. Ehrenamtler werden in
Zukunft bessere Bedingungen für ihre Arbeit erhalten, hier steht die
Erarbeitung einer neuen gesetzlichen Grundlage an.
Heimatbezogene
Innenpolitik wird sich auch dem Austarieren von Markt und Staat widmen müssen.
Das neoliberale Denken muss durch ein ordoliberales Handeln ersetzt werden –
und das beginnt mit der Würdigung eines sichtbaren und spürbaren Staates. Und
auch der beginnt mit Menschen, nämlich den Millionen von Beamten und
Angestellten im öffentlichen Dienst, die das abstrakte Konstrukt Staat im
Alltag für jeden erlebbar machen. Die Polizistinnen und Polizisten, die überall
im Land gemeinsam für sichere Orte und Regionen sorgen, sind hier genauso zu
nennen wie die vielen Angestellten und Arbeiter, die mit ihrer Tätigkeit in den
Einrichtungen der Städte, Landkreise und Regionen das Funktionieren des Alltags
ermöglichen.
Zu lange wurde im Bereich
staatlichen Handelns in einem ökonomisierten Denken fast nur auf Effizienz und
schmale Verwaltungen geachtet. Ein Staat jedoch, dessen Ordnungskräfte in
Kleinwagen Kriminelle in Sportwagen verfolgen sollen, dessen Finanzbeamte in
oft seit Jahrzehnten nicht mehr neu ausgestatteten Finanzämtern sich
Steuerbetrügern mit modernsten Rechtsanwaltskanzleien gegenübersehen und dessen
Krankenhäuser wegen Sparmaßnahmen Patienten mitunter nicht optimal versorgen
können, der hinterlässt beim Bürger keinen guten Eindruck. Daher muss auch eine
Diskussion über die Rolle des Staates bei der Schaffung gleichwertiger
Lebensverhältnisse beginnen.
Ich sehe dieser
Auseinandersetzung gelassen entgegen, weil sie seit geraumer Zeit in allen
westlichen Staaten vor sich geht. Die Globalisierung mit ihrem ungeheuren
Veränderungstempo zwingt uns zu Ortsbestimmungen und zu Orientierungen.
Deutschland als Land mit enormen Vorteilen aus der weltweiten wirtschaftlichen
Vernetzung wird diese kulturellen Grenzziehungen souverän meistern. Die
Einbindung unseres Landes in die westliche Staatengemeinschaft hat es uns
ermöglicht, unsere in vielfältigen Regionen und Orten beheimatete Art des
Lebens und Arbeitens zur Entfaltung zu bringen und gemeinsam das Land zu einem
der angesehensten der Welt zu machen. Das zu erhalten, zu bewahren und behutsam
weiterzuentwickeln ist eines der wesentlichen Ziele deutscher Innenpolitik.