Presse über Einigung von Union und
SPD
„t-online“, vom Samstag,
den 13.01.2018, 10:32 Uhr | dpa
und
„Junckers Handschrift“
(kein Link möglich, nur
in der E-Paper-Ausgabe zugänglich)
Zu:
"Der Winter der deutschen Matriarchin hat
begonnen"
[Fazit der Pressestimmen:
Bundeskanzlerin Merkel, eine lame duck – tut das Deutschland
gut? tut das der EU gut? tut das Europa gut?
Das Foto von Frau
Merkel spricht für sich -> Link: http://www.t-online.de/nachrichten/deutschland/bundestagswahl/id_83042760/das-sagt-die-internationale-presse-zu-den-sondierungen.html ]
Foto:
„Bundeskanzlerin Angela
Merkel: Die CDU-Chefin hat sich mit CSU und SPD auf Eckpunkte einer möglichen
neuen Großen Koalition geeinigt. (Quelle: Bernd von Jutrczenka/dpa)“
Nicht nur in Deutschland
haben Bürger und Medien die Sondierungsgespräche von Union und SPD aufmerksam
verfolgt. In den europäischen Zeitungskommentaren überwiegt die Skepsis.
Nach einem
Verhandlungsmarathon haben sich SPD, CDU und CSU am Freitag auf ein
Sondierungspapier geeinigt. Die Beschlüsse wären die Richtschnur einer neuen
Großen Koalition – wenn sie die parteiinternen Abstimmungen überstehen. Für die
europäischen Presse ein Anlass, die schleppende Regierungsbildung in Berlin zu
kommentieren.
Eine Auswahl der
Pressestimmen:
Die französische
Regionalzeitung "Les Dernières Nouvelles d'Alsace" schreibt: "Die einzigen wirklich wichtigen
Punkte (im Sondierungspapier) sind die Plätze, die Europa und der Eurozone im
Koalitionsprojekt einnehmen, auch wenn sie im Vergleich zu den Visionen von
Präsident Macron vage bleiben.
Eines ist gewiss: Die
nächste deutsche Regierung wird nicht vor Ostern im Amt sein... oder am
Sankt-Nimmerleins-Tag. Sicherlich mit Merkel als Kanzlerin. Aber mit einer
immer weniger souveränen."
Die britische Zeitung
"The Guardian" sieht es
so: "Nach dem Aufschwung der rechtsextremen AfD bei den Bundestagswahlen
im September war es wichtig, dass Deutschlands etablierte Parteien einen Weg
finden, ihr Modell einer sozialen Marktwirtschaft für kommende Zeiten zu
erneuern. Doch es wäre klug, die Sektkorken nicht vorschnell knallen zu lassen.
Zwar hat Angela Merkels konservativer Block aus CDU und CSU einen
Koalitionsdeal mit der Mitte-Links-SPD von Martin Schulz erreicht. Aber es ist
längst noch nicht sicher, dass dieser Deal Bestand haben wird."
Die italienische
Tageszeitung "La Repubblica"
kommentiert: "Der nicht mehr ganz so junge Schulz, der die Chance
schwinden sah, Kanzler zu werden und der Merkel schließlich den letzten
Rettungsring zugeworfen hat, hat viele Wehwehchen. Er wird erst die
SPD-Delegierten in Bonn am 21. Januar und dann die zum Referendum aufgerufenen
Mitglieder überzeugen müssen, eine neue Große Koalition abzunicken. Eine
titanenhafte Aufgabe mit ungewissem Ausgang. Derweil ist mit Blick auf die
Einigung zu sagen, dass der Teufel im Detail steckt."
In der
niederländischen Zeitung "de Volkskrant" aus Amsterdam heißt es: "Nun bleibt abzuwarten,
ob SPD-Chef Martin Schulz seine kritischen Genossen für die sozial-ökonomischen
Pluspunkte erwärmen kann, die er erreichen konnte.
Die Christdemokraten
meckern (noch) nicht hörbar über die Vereinbarungen. Zweifellos sind jedoch
viele von ihnen nicht glücklich mit einer weiteren Vertiefung der europäischen
Integration, zu der sich die künftige Große Koalition bekennt.
Die AfD dürfte daraus
Argumente für eine kräftige Oppositionspolitik gewinnen.
Selbst wenn der
SPD-Parteitag am 21. Januar einer Regierung Merkel/Schulz den Segen erteilt,
wirkt diese Koalition zerbrechlicher als alle bisherigen in der Ära Merkel seit
2005."
Die spanische Zeitung
"La Vanguardia" aus
Barcelona schreibt: "Obwohl es einige Monate dauern wird, bis die Große
Koalition in Berlin Wirklichkeit wird – man redet von einer Regierungsbildung
zu Ostern – ist es eine Tatsache, dass die Einigung bei den
Sondierungsgesprächen eine große Nachricht für Deutschland und für ganz Europa
ist. Die Notwendigkeit, dass die deutsche Lokomotive das europäische
Gemeinschaftsprojekt weiterhin vorwärts zieht, ist offensichtlich. Und noch
mehr nach dem Brexit. Dass Berlin über eine stabile Regierung und über einen
konkreten und machbaren Fahrplan verfügt ist gut für alle, für die Deutschen
und auch für die Europäer."
"Die Presse"
aus Wien kommentiert: "Von
einer solchen Zwangsehe Aufbruchstimmung zu erwarten wäre fast unfair. Alle
drei Parteichefs tragen ein Ablaufdatum auf ihrer Stirn. CSU-Chef Horst Seehofer
musste bereits die halbe Macht abgeben: Markus Söder verdrängt ihn demnächst
als Bayerns Ministerpräsident. Martin Schulz bleibt nur deshalb, weil sich auf
die Schnelle kein Besserer gefunden hat. Und auch CDU-Kanzlerin Merkel musste
sich schon während der Sondierungsgespräche öffentliche Erörterungen über die
einsetzende Abenddämmerung ihrer Ära anhören. Der Winter der deutschen
Matriarchin hat begonnen. Eine Vision hat sie auch auf ihrer Abschiedstournee
nicht anzubieten."
Die "Neue Zürcher
Zeitung" meint: "Die
Konturen des Koalitionsprogramms, auf die sich die Parteien verständigt haben,
verweisen auf die fortgesetzte Verwaltung des Aufschwungs, auf ein paar
Umverteilungsmanöver bei den Sozialversicherungen, ein paar Milliarden Euro
mehr für Schulen und Kindergärten sowie einige neue, die Unternehmen belastende
Rechtsansprüche für Arbeitnehmer. Viel mehr ist da nicht.
Das Reservoir an Ideen
und Projekten der großen Koalition hat sich schon in der letzten
Regierungsperiode erschöpft.
Für Zukunftsgestaltung fehlt die Kraft.
Auch t-online.de hat die
Ergebnisse der Sondierungen kommentiert:
"Die Sondierungsbeschlüsse
zur Europapolitik sind vielleicht nicht visionär, aber beherzt: mehr
Integration, die Eurozone durch einen parlamentarisch“ [?]
[das ist wohl mit
Absicht ungenau: die nationalen Parlamente haben nichts mehr zu sagen; einzig das
EU-Parlament wird über den Einsatz der finanziellen Mittel des Währungsfonds entscheiden;
im EU-Parlament haben aber die Staaten, die aus der EU-Kasse mehr Geld erhalten
als sie der EU einzahlen, eindeutig die Mehrheit]
„kontrollierten
Währungsfonds stärken – aber nicht den Fehler machen, die Schulden zu
vergemeinschaften“ [???]
[das ist eindeutig falsch:
Laut „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, die deutlich mehr versteht als die „t-online“-Redaktion
sieht exakt den Euro-/EU-Zug in dieser Richtung abfahren -> „F.A.Z.“-Kommentar
nachstehend]
„Dass es reicht, um die
Zustimmung der SPD-Basis für das Gesamtpaket zu bekommen, ist
zweifelhaft", schreibt Chefredakteur Florian Harms in seinem Kommentar.“
Das Foto spricht für
sich:
Junckers Handschrift
[zur Freude
Macrons, der mit deutschen Euros sein Land modernisieren will]
„F.A.Z.““ – Wirtschaft,
vom Samstag, den 13.01.2018; von Werner Mussler, Brüssel
Die frohe Kunde erreichte
Jean-Claude Juncker in Sofia. Dort hat der EU-Kommissionschef das Ergebnis der
Berliner Sondierungsgespräche nicht nur mit vielen lobenden Adjektiven
versehen. Er ließ auch streuen, dass er von beiden Berliner Seiten, Schwarz und
Rot, eng in die Verhandlungen eingebunden worden sei. Das dürfte stimmen. Der
Europa-Teil der Berliner Gesprächsergebnisse trägt Junckers Handschrift. Diese
drückt sich weniger in den wohlfeilen europapolitischen Bekenntnissen der
Sondierer oder ihrer Selbstverpflichtung aus, mehr Geld für den EU-Haushalt zur
Verfügung zu stellen. Dass der deutsche Haushaltsbeitrag steigen würde, war
wegen des Brexits klar. Entscheidend wird sein, wie hoch die Steigerung
ausfallen wird. Dazu sagen die mutmaßlichen Koalitionäre nichts.
Dafür folgen sie präzise
den Vorschlägen, die die EU-Kommission im Dezember für den Umbau der
Währungsunion vorgelegt hat. Man befürworte „spezifische Haushaltsmittel für
wirtschaftliche Stabilisierung und soziale Konvergenz und für die Unterstützung
von Strukturreformen in der Eurozone, die Ausgangspunkt für einen künftigen
Investivhaushalt für die Eurozone sein können“, heißt es im Papier von Union
und SPD. Auch solle der Euro-Krisenfonds ESM zu einem „parlamentarisch
kontrollierten Europäischen Währungsfonds“ umgebaut werden, verankert im
Unionsrecht.
In diesen harmlosen
Sätzen steckt Sprengstoff. Das Bekenntnis zu spezifischen Haushaltsmitteln für
allerlei Euro-Zwecke bedeutet nichts anderes, als dass die bisher nur für große
Krisen vorgesehenen Transfers im Euroraum künftig für alles und jedes möglich
würden. Und der im Unionsrecht verankerte und „parlamentarisch kontrollierte“
Währungsfonds liefe darauf hinaus, dass der Bundestag sein Kontroll- und
Vetorecht über ESM-Kredite verlöre, zu Gunsten des Europaparlaments.
Schon der Ausbau der
Transferunion bedeutete eine radikale Abkehr von der deutschen Position in
Eurofragen. Noch schwerer wöge der ESM-Umbau. Der bisherige Finanzminister
Wolfgang Schäuble hat immer darauf beharrt, dass der ESM auf einem zwischenstaatlichen
Vertrag beruht und der demokratischen Kontrolle jener Länder unterworfen ist,
die den Fonds finanzieren. Dass Schäubles Partei dieses Prinzip jetzt für
entbehrlich hält, ist bemerkenswert. Immerhin: Der ESM-Vertrag lässt sich nur
einstimmig ändern. Etliche Länder werden der neuen deutschen Großzügigkeit
nicht folgen wollen.
Das hat die „Frankfurter Allgemeine Zeitung schon vor dem Wahlgang angesagt.]