
Sind religiöse Gefühle
heute wichtiger
als Meinungsfreiheit? Ein Gerichtsentscheid gibt zu denken
heute wichtiger
als Meinungsfreiheit? Ein Gerichtsentscheid gibt zu denken
wenn ein Mann mit einem Mädchen von 6 Jahren intim wird, so macht er sich strafbar, ist er ein Päderast, ist er pädophil - aber:
NZZ vom Donnerstag, den 15.11.2018; von Kacem El Ghazzali
Wer soll was dürfen? Eine aufgeklärte Gesellschaft lässt
allen Freiraum.
Der islamische Prophet Mohammed darf nicht pädophil genannt
werden. Eine österreichische Seminarleiterin, die sich so geäussert hatte,
wurde vom Gericht wegen Herabwürdigung religiöser Lehren mit einer Geldstrafe
belegt, und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat das
Urteil Ende Oktober bestätigt. Wird damit die Meinungsfreiheit unzulässig
eingeschränkt, um sogenannte religiöse Gefühle zu schonen?
Für manche Menschen mag es wünschenswert sein, Religionen
vor «Beleidigungen» zu schützen. Das Problem liegt allerdings in der Definition
des Wortes «Beleidigung»: Wo immer Meinungsverschiedenheiten vorkommen, wird es
auch Menschen geben, die sich von bestimmten Handlungen oder Worten beleidigt
fühlen. Bei Religionen tritt diese Problematik offen zutage: Zum Beispiel
besagt der islamische Glaube, dass Christus kein Sohn Gottes, sondern nur ein
Mensch sei. Juden und Christen wiederum erkennen Mohammed nicht als Propheten
an.
Recht auf Meinungsfreiheit
Vor diesem Hintergrund müsste eine Gesellschaft, die ein
friedliches Zusammenleben der Angehörigen aller Religionen anstrebt, alle
Gesetze abschaffen, welche die Missachtung oder Beleidigung religiöser Gefühle
unter Strafe stellen. Auch grundsätzlich gehört ein Blasphemie-Artikel nicht in
(westliche) Strafgesetzbücher: Wenn Religionen das Recht haben, ihre
Überzeugungen zu predigen, ist es auch notwendig, dass Individuen Religionen
und religiöse Gefühle kritisieren, ja sogar verspotten und über das
Allerheiligste lachen können. Andernfalls wird die Freiheit nur in eine
Richtung möglich sein.
Faktisch kann auch im Westen der Vorwurf der Blasphemie
mittlerweile wieder gravierende, ja gar tödliche Konsequenzen haben, wie unter
anderem der islamistische Terroranschlag auf die Redaktion von «Charlie Hebdo»
2015 gezeigt hat. Ein weiteres erschreckendes Beispiel dafür, wie die
Meinungsäusserungsfreiheit in Europa unter Druck gerät, ist der Umstand, dass
sich Islamkritiker wie Hamed Abdel Samad nur unter Polizeischutz im
öffentlichen Raum bewegen können.
Die Cartoons von «Charlie Hebdo» wie auch Hamed Abdel Samads
Bücher hindern niemanden daran, ein gläubiger Muslim zu sein. Dennoch wird es
immer religiöse Menschen geben, die Meinungsfreiheit und Kritik als Beleidigung
ihres Glaubens werten. Keine allzu grosse Überraschung daher, dass im Westen,
der seine Werte immer weniger konsequent hochhält und verteidigt, die Freiheit
von Schriftstellern und Künstlern unter dem Vorwand, religiöse Gefühle und
Gebote zu schützen, zunehmend eingeschränkt wird, teils in vorauseilendem
Gehorsam, teils gar durch Gerichtsurteile.
In vielen muslimischen Ländern werden Ablehnung oder Protest
gegen bestimmte Praktiken, die mit dem Verweis auf den Islam gerechtfertigt
werden – etwa Rassendiskriminierung, Steinigung, Kinderehe, Verfolgung von
Homosexuellen und Apostaten –, als eine Form der Verachtung und Beleidigung der
Religion angesehen und mit harten Strafen geahndet. Beispiele dafür gibt es
leider mehr als genug, wie der Fall der pakistanischen Christin Asia Bibi oder
auch derjenige des saudischen Schriftstellers Raif Badawi zeigen, der 2013
wegen Beleidigung des Islam zu tausend Stockschlägen und zehn Jahren Haft
verurteilt wurde.
Die Falschen applaudieren
Weniger bekannt ist das Schicksal des mauretanischen
antirassistischen Bloggers Mohamed Mkhaitir, der in einem Artikel das
Kastensystem, das oft in Zusammenhang mit der islamischen Tradition gebracht
wird, thematisierte und sich dabei kritisch über die Verhaltensweise des
Propheten Mohammed gegenüber Sklaven äusserte. Kurz nach der Veröffentlichung
des Artikels wurde Mkhaitir im Jahr 2014 wegen Beleidigung des Propheten
verhaftet. Während des Prozesses versammelten sich Tausende von Demonstranten
vor dem Gericht in der mauretanischen Hauptstadt Nouakchott und forderten die
Hinrichtung des 28-jährigen Mannes. Ende 2014 wurde er zum Tod durch
Erschiessen verurteilt. Als ein Berufungsgericht im November 2017 die Strafe
auf zwei Jahre Gefängnis reduzierte, folgten – wie in Pakistan – gewaltvolle
Demonstrationen, an denen die Exekution Mkhaitirs gefordert wurde. Mkhaitir ist
immer noch inhaftiert; Amnesty International gab vergangene Woche eine
Mitteilung heraus, dass er an einem unbekannten Ort festgehalten werde.
Inzwischen spricht sein Anwalt Mohamed Ould Moine allerdings von einer Entführung
durch die Präsidentengarde.
Bezeichnend ist dabei, dass die gleichen Websites, die im
Jahr 2014 Artikel veröffentlichten, in denen Mkhaitirs Hinrichtung gefordert
wurde, kürzlich mit dicken Schlagzeilen die Entscheidung des Europäischen
Gerichtshofs für Menschenrechte feierten. Tausende von Arabern reagierten in
sozialen Netzwerken und arabischen Nachrichtenportalen mit Kommentaren, laut
denen es sich beim Urteil des EGMR um «einen historischen Sieg des Islam im
Land der Ungläubigen» oder «eine starke Antwort gegen die arabischen Liberalen,
die unsere Religion beleidigen», handle. Von den zahlreichen islamischen
Organisationen, die sich oft negativ zu jeglichen internationalen
Menschenrechtsabkommen äussern, die die Religions- oder die Meinungsfreiheit
fördern, haben nun etliche das Urteil des EGMR ausdrücklich begrüsst.
So lobte etwa die von der Organisation für Islamische
Zusammenarbeit gegründete Islamische Bildungs-, Wissenschafts- und
Kulturorganisation (Isesco) das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für
Menschenrechte; ihr gehören 52 Mitgliedstaaten an, darunter Saudiarabien,
Mauretanien und Pakistan. Sie forderte ausserdem Muslime in den westlichen
Gesellschaften dazu auf, diesen Entscheid zur Verteidigung ihrer bürgerlichen,
politischen und kulturellen Rechte bestmöglich zu nutzen. Auch die vom
Ägyptischen Fatwa-Amt gegründete Beobachtungsstelle namens «Islamophobia Watch»
begrüsste das Urteil und betonte, dass Regierungen weltweit und internationale
Menschenrechtsinstitutionen entsprechend handeln müssten, um
Verleumdungsversuchen gegen den Islam entgegenzutreten.
Irritierend ist, dass sich das Urteil des EGMR und die
drakonischen Urteile gegen Schriftsteller, Aktivisten und religiöse
Minderheiten in der islamischen Welt hinsichtlich der Argumentation kaum
unterscheiden. Selbstredend hat das Gericht in Strassburg niemanden wegen
Blasphemie zum Tode verurteilt, aber indirekt konzediert es, dass die
sogenannte Beleidigung des Propheten bestraft werden solle. Wenn nun
europäische Länder im Interesse des Respekts vor religiösen Gefühlen Urteile
gegen die Meinungsfreiheit erlassen, wird das nicht nur das Leben von
Freidenkern und religiösen Minderheiten in der islamischen Welt erschweren,
sondern auch ihre Verfolgung legitimieren.
Fatale Signalwirkung
Die zunehmende Reislamisierung vielerorts in der islamischen
Welt und die Ablehnung westlicher Werte durch eine stattliche Anzahl
Jugendlicher mit muslimischem Hintergrund im Westen, auch in der Schweiz, ist
eine Realität. Aber darüber geht oft vergessen, dass Europa für viele junge
Menschen in der islamischen Welt schon immer Teil ihres kulturellen
Selbstverständnisses war, eine Inspirationsquelle und eine Hoffnung auf
Modernisierung. Doch diese liberalen Jugendlichen betrachten Europa heute mit grosser
Sorge. Was bleibt von Europa, wenn die Meinungsfreiheit eingeschränkt wird, um
eine angeblich verfolgte religiöse Minderheit zu schützen? Vielleicht würde
Voltaire heute zögern, sein Stück «Le fanatisme ou Mahomet le Prophète» zu
schreiben – nicht nur aus Angst vor Racheakten bewaffneter muslimischer
Fanatiker, sondern auch, weil der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte
ihn vermutlich gleich auf die Anklagebank zitieren und wegen Blasphemie
verurteilen würde.
Der Schriftsteller Kacem El Ghazzali stammt aus Marokko und
kam 2011 als Flüchtling in die Schweiz, wo er inzwischen eingebürgert ist. Er
ist Repräsentant der International Humanist and Ethical Union im
Uno-Menschenrechtsrat in Genf.
Frau Helen Keller ist von der höchst eigenwilligen und eigenmächtigen Bundesrätin Calmy-Rey (SP) an den EGMR in Strassburg befördert worden - sie liegt also links; obschon die Mehrheit der Schweizerinnen und Schweizer bürgerlich gesinnt ist.
Ich meine, Frau Keller muss durch eine andere Person als Richterin am EGMR ersetzt werden.
Frau Helen Keller ist von der höchst eigenwilligen und eigenmächtigen Bundesrätin Calmy-Rey (SP) an den EGMR in Strassburg befördert worden - sie liegt also links; obschon die Mehrheit der Schweizerinnen und Schweizer bürgerlich gesinnt ist.
Ich meine, Frau Keller muss durch eine andere Person als Richterin am EGMR ersetzt werden.