Merkels Geringschätzung des Deutschen
Jouwatch vom Sonntag, den 03.02.2019;
von Michael Klonovsky
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Wie zähe Leser dieses Diariums wissen, arbeite ich mich seit
Jahren sporadisch-exzessiv, aber regelmäßig an der Frage ab, welche Motive wohl
Frau Merkel bei ihrem sturheilen Marsch in den wahrscheinlich letzten deutschen
Sonderweg antreiben. Im Netz wuchern die Spekulationen über die Beweggründe
dieser unseligen Person, die von ihren Anhängern nurmehr noch mit
eschatologischen Argumenten verteidigt wird; viele Heiden indes sehen in ihr
eine Vollstreckerin internationalistischer Politiken und globalistischer
Agenden, andere, zu denen auch ich zähle, suchen den Schlüssel zu ihren Motiven
in ihrer jugendlichen Prägung durch eine perverse Kombination aus
Protestantismus und Sozialismus und einer daraus rührenden tiefen Verachtung
von kulturellen Traditionen, nationalen Eigenarten, individueller Freiheit und
jener des Marktes, von Merkels Geringschätzung des Deutschen im Allgemeinen und
der deutschen Sprache im Besonderen heute zu schweigen.
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Im Dezember 2015 zitierte ich hier einen langjährigen
Bundestagsabgeordneten der Union mit den Worten, Merkels Politikstil sei
„reines Rodeo“ und kenne nur ein Motiv: oben bleiben. Dieser Ansicht ist auch
der Journalist Ferdinand Knauß, der in der Wirtschaftswoche die prekäre
Planstelle des Regierungskritikers besetzt. In seinem Buch „Merkel am Ende.
Warum die Methode Angela Merkels nicht mehr in unsere Zeit passt“ liefert er
eine stringente Analyse des zugleich hochspannenden und unendlich langweiligen
Phänomens Merkel. Knauß zufolge ist die Kanzlerin „ein unpolitischer Mensch“,
eine reine Managerin, die sich aus Gründen der Gewohnheit an ihren Job klammert
und das Glück hat, nicht in der freien Wirtschaft für ihre Bilanz geradstehen
zu müssen: „Nicht obwohl, sondern weil sie unpolitisch ist, war Merkel die
passende Kanzlerin für eine Gesellschaft, die sich am Ende der Geschichte
wähnte. Für eine Gesellschaft, die das Politische, also das Entscheiden
grundlegender Fragen – anders gesagt: das Geschichte-Machen –, für obsolet
hielt.“ Was im Innern dieser Frau vorgehe, sei deshalb womöglich „gar nicht so
interessant“, man habe es mit einer intellektuell eher banalen Person zu tun,
die nicht inhaltlich, sondern ausschließlich taktisch denke. Deshalb vermeide
sie auch mit großer Sorgfalt Aussagen, die auf ihre Defizite schließen lassen
würden und weicht jeder Frage aus, die auf eine konkrete politische Haltung
zielt.
Die Kanzlerin, schreibt der Wirtschaftswoche-Autor, erfülle
kaum eine der Bedingungen, die Max Weber in seinem berühmten Aufsatz „Politik
als Beruf“ vorgibt: „Sie hat kein Charisma und kann nicht gut reden. Sie hat
keine sachliche Leidenschaft und kein Verantwortungsgefühl. Allenfalls könnte
man ihr Augenmaß attestieren – nach dem September 2015 muss man aber auch daran
sehr zweifeln. Was sie allerdings in höchstem Maße besitzt, ist eine Gabe zur
Analyse der Bedingungen für den Machterwerb und Machterhalt.“
Für diese Sichtweise existieren starke Argumente, die Knauß
in seiner unaufgeregten und klugen Analyse auch alle auflistet. Im Laufe ihrer
dreizehnjährigen Amtszeit hat die Kanzlerin ihre Ansichten gewechselt wie
Hosenanzüge. So sprach sie sich erst für die „Brückentechnologie“ Kernkraft und
eine Verlängerung der AKW-Laufzeiten aus, stieg aber dann im Handstreich aus
der Atomenergie aus; sie erklärte Multikulti für gescheitert und gab anno 2003
zu Protokoll: „Wenn wir die Auswirkungen der Zuwanderung nach Deutschland in
den letzten fünfzig oder vierzig Jahren betrachten, dann fällt die Bilanz, wenn
man die Sozialhilfe und alles hinzurechnet, negativ für Deutschland aus“; zwölf
Jahre später importierte sie dann auf einen Ruck nahezu zwei Millionen
Mosaikbausteinchen für ein sich am Zeithorizont farbenprächtig abzeichnendes,
über die Sozialkassen finanziertes Mulkul-’schland; als Oppositionsführerin
forderte sie ordoliberale Reformen, aber unter ihr als Kanzlerin stiegen die
Steuereinnahmen, florierte die Umverteilung und explodierten die
Sozialausgaben. 2003 schilderte Merkel ihren „Deutschland-Alptraum“ mit den Worten:
„Jeder besitzt eine Windmühle und glaubt sogar noch, er tue etwas für die
Umwelt, vergisst aber die hohen Subventionen.“ Acht Jahre später rief sie die
Energiewende aus, finanziert mit einer EEG-Umlage, die nach Merkels Beteuerung
vom Juni 2011 „nicht über ihre heutige Größenordnung hinaus steigen“ werde
(damals lag sie bei 3,5 Cent pro Kilowattstunde, 2018 waren es 6,8 Cent).
Handelt so ein Mensch, der irgendein definiertes politisches
Ziel verfolgt? „Merkel hat in 28 Jahren als Politikerin, als Ministerin,
CDU-Chefin und schließlich Kanzlerin kaum jemals irgendein Prinzip oder
politisches Ziel, das sie zunächst behauptete, konsequent und unter Hinnahme
persönlichen Risikos verteidigt. Sie hat sie alle aufgegeben“, notiert Knauß,
um sich anschließend zu verwundern: „Und jetzt soll ausgerechnet sie zur last
woman standing des Westens werden?“
Die lange Herrschaft Merkels und ihrer unpolitischen Methode
muss also Wünsche und Illusionen bedienen, die in weiten Teilen dieses
merkwürdigen Volkes angelegt sind. Der Slogan vom „Ende der Geschichte“ fiel
bereits; in keinem Land der Erde dürfte diese Vorstellung verbreiteter sein als
bei den verschwindensbereiten Weltumarmern im Herzen Europas. Die
„kosmopolitische Illusion“ (Knauß) als Identitätsprothese ist ohnehin etwas
sehr Deutsches, sie entstand in einer Zeit, als an ein politisch geeintes
Deutschland nicht zu denken war, und füllte nach dem zweifachen Zusammenbruch
des Reiches bei den meisten Politikern und Intellektuellen die Leerstelle der
nationalen Zugehörigkeit. Nur nicht wieder eigenverantwortlich agieren müssen,
lautete und lautet ihre Maxime. Es handelt sich um einen Kosmopolitismus, der
nicht auf innerer Festigkeit und einem soliden Einverstandensein mit sich
selbst gründet, sondern einen affektiven Willen zur Selbstverleugnung und
Wiedergutmachung zum Ausdruck bringt. Die Mentalitätsherrschaft der Grünen
beruht auf diesem Phänomen, daraus saugt sie ihr moralisches
Erpressungskapital. Merkel hat erkannt, dass sie sich, wenn sie oben bleiben
will, den Vorstellungen der Grünen anpassen muss, und deswegen hat sie ihre
gesamte Politik moralisch aufgeladen.
„Die Linksbewegung der CDU fand auf dem entscheidenden Feld
der kulturellen Einstellungen und Wertvorstellungen statt, also da wo die
Kategorien von Gut und Böse ausgehandelt werden“, schreibt Knauß. Die CDU habe
„fürs Regieren ihre Seele verkauft“.
Den Grünen und einer sie unterstützenden Mehrheit der
Journalisten und Öffentlichkeitsarbeiter ist es zuzuschreiben, dass auch in der
Politik die Unterscheidung zwischen richtig und falsch in eine zwischen gut und
böse umgewandelt wurde. Diese Umformatierung politischer Entscheidungen in
moralische hat die „erste Kanzlerin der Grünen“ (so Bernd Ulrich,
stellvertretender Chefredakteur der Zeit, durchaus bewundernd) zwar
international immer mehr isoliert, aber ihre Herrschaft im eigenen Lande
gesichert, da jede tiefergehende Kritik an ihren Entscheidungen als unmoralisch
zurückgewiesen werden konnte. Die momentan einzige Oppositionspartei – „ein
unmittelbares Resultat der Regierung Merkels und ihre Hinterlassenschaft“
(Knauß) – ließ sich so als eine Zweigestelle des Leibhaftigen stigmatisieren,
für deren Entstehung keine rationalen Gründe vorlagen und deren Argumente man
gar nicht erst anhören müsse.
Das werde aber nicht mehr länger gutgehen, statuiert Knauß.
Zum einen könne man „auf die Dauer eine Partei von über 15 Prozent, in Sachsen
vielleicht bald 30 Prozent nicht als Gottseibeiuns behandeln“, sonst steuere
Land „mittelfristig auf die Unregierbarkeit zu“. Zum anderen führe eine Politik
der permanenten Überdehnung der eigenen wirtschaftlichen und mentalen Kräfte
unausweichlich in Krisen, Unruhen und Verteilungskämpfe. Dass neben dem Gros
der Eliten zwar keine Mehrheit, aber immerhin ein bedeutender Teil der Wähler
dieser Verschleuderung des nationalen Tafelsilbers applaudiere, irritiert Knauß
selbstverständlich, doch historisch beschlagene Menschen wissen, dass dieses
amokläuferische Festhalten am einmal eingeschlagenen Kurs für Deutsche immerhin
keine Premiere mehr bedeutet.
Einst stand dieses Deutschland bekanntlich in schimmernder
Wehr gegen eine Welt von Feinden, bis die ihm die Grenzen seiner Kräfte
aufzeigten. „Heute glauben offenbar viele Deutsche und die Kanzlerin selbst,
dass ausgerechnet Deutschland, notfalls auch ohne die USA und einen Großteil
der EU – von den Machtstaaten Russland, China, Türkei, Iran usw. ganz zu
schweigen –, berufen ist, das Ende der Geschichte zu verteidigen: als
selbstloser Anti-Nationalstaat ein höheres europäisches oder gar Weltinteresse
zu vertreten.“ Auch diese Hybris wird nicht ungesühnt bleiben. Merkel als
„Inkarnation eines seltsamen, postdeutschen Größenwahns“ überschätze „in
verantwortungsloser Weise die Möglichkeiten des eigenen Landes, das sich
zugleich in Europa und der Welt auflösen und Europa und die Welt retten soll“.
Ungefähr das dürfte Henry Kissinger gemeint haben, als er sagte: „Angela Merkel
is very local.“
Angesichts der ja keineswegs in Richtung Demokratisierung
und Weltvereinigung zielenden globalen Tendenzen – die Reislamisierung der
arabischen Welt und der Türkei, der Aufstieg Chinas, der demografische
Niedergang des Westens, die anschwellende Wanderungsbewegung aus Afrika und
Westasien in die westliche Wohlstandszone – werden für die Bewohner des Westens
Bedrohungen sichtbar und vor allem spürbar, die sich nicht mehr länger durch
Tabuisierung, Schutzgeldzahlungen, Dialogangebote und die Abwälzung der
direkten Folgen auf die Unterschichten managen lassen. Es wird wieder Konflikte
geben, die ohne Gewalt nicht zu befrieden sind. Es wird wieder Feindschaften
gegeben. „Und damit“, so Knauß, „schwinden die Voraussetzungen für die Methode
Merkel.“
Knauß: „Wenn die Geschichte sich zurückmeldet und mit ihr
die Nachfrage nach dem Politischen, also nach Politikern, die auch gegen
starken Widerstand die fundamentalen Interessen derer vertreten, die sie
repräsentieren, hat Merkel nicht viel zu bieten.“ Angesichts der grundlegenden
Fragen, die sich uns unausweichlich stellen, könne aber gar nicht anderes
passieren. Es seine Frage wie: Wollen wir weitere Einwanderung? Wenn ja, wie
viel und welche Einwanderer wollen wir? Ist der Islam ein Teil von Deutschland?
Soll die Europäische Währungsunion unbedingt und um jeden Preis
aufrechterhalten werden? Müssen deutsche Steuerzahler darum noch mehr Haftung
für europäische Banken- und Sozialsysteme übernehmen? Ist der Ausbau der
Windenergie notwendig oder zerstört er auf unerträgliche Weise die
Landschaften? Auf keine dieser Frage hat Merkel je eine klare Antwort gegeben.
Unter dieser Kanzlerin, sagt Knauß mit einem schönen Bild,
sei „aus Leviathan eine Milchkuh“ geworden. Aber die Kräfte Behemoths sammeln
sich weltweit. Staaten und Staatschefs werden darauf eine Antwort geben müssen.
Die scheinbaren Selbstverständlichkeiten des hinter uns liegenden Zeitalters,
sowohl den Wohlstand als auch innere wie äußere Sicherheit betreffend, gingen
verloren. „Die Angst als Urgrund politischer Leidenschaft ist wieder da und mit
ihr das Bedürfnis nach Schutz.“ Der Konflikt zwischen dem Trend zur
Weltgesellschaft und dem Bedürfnis nach dem Schutz des Eigenen sei nicht
aufzulösen. Aber er könne zivilisiert und demokratisch geführt und entschärft
werden durch pragmatische Kompromisse: „Das wird die große Aufgabe
demokratischer Politik in den kommenden Jahren sein.“
Knauß übermittelt also eine im Kern optimistische Botschaft:
Nicht allein die Zeit Merkels ist abgelaufen, sondern auch ihre Art Politik,
das System Merkel, endet. An ihrer Schadensbilanz wird Deutschland, im
Gegensatz zu Merkels nichtvorhandenen Nachkommen, lange tragen, wahrscheinlich
ist sie irreversibel, und Schuld daran sind letztlich die deutsche Tüchtigkeit,
die deutsche Obrigkeitshörigkeit und der deutsche Eskapismus. Die Rechnung
werden Merkels Nachfolger präsentiert bekommen. Und eine Ironie der Geschichte
könnte darin bestehen, dass man einmal eine (mit-)regierenden AfD für die
Folgen der Merkelschen politischen Idiotismen verantwortlich machen wird.