«Ich kann vor diesem neuen
deutschen Grössenwahn nur warnen»
Auszug
aus der „NZZ“ vom Mittwoch, den 04.10.2017,, 0530 Uhr; von Benedict Neff,
Berlin
Amerika steckt in der Krise, Europa schlingert und
Deutschland erholt sich von der Bundestagswahl.
Der Historiker Professor Heinrich August Winkler mahnt, Deutschland dürfe
die Fehler nicht wiederholen, die unter Merkel geschehen sind.
[Letztendlich
aber gibt es auch beim Deutschen Winkler keine Alternative zur Frau Merkel und
ihre Art zu politisieren.
Denn
der grosse Feind ist die AfD; wegen ihr ist eine Korrektur der Merkel’schen Fehler
– „die sich nicht wiederholen dürfen“ – nicht möglich.
Das
ist die quinta essentia der Winkler’schen Ausführungen.]
«Wir wollen kein deutsches Europa, sondern ein europäisches Deutschland»:
Professor Heinrich August Winkler fordert neue
Perspektiven für Deutschlands politische Zukunft.
NZZ:
Herr Winkler, der Titel Ihres neuen Buches lautet «Zerbricht der Westen?».
Es schien mir bei der Lektüre, dass Sie ein Buch lang fragen, aber nicht
antworten. Vielleicht, weil Ihnen die Antwort nicht gefallen würde?
Winkler:
„Die Offenheit ist Absicht. Wer will schon mit letzter
Sicherheit sagen, ob die Ära Trump eine Episode bleibt? Ein halbes Jahr nach
seinem Amtsantritt sehen wir immerhin: Trump ist nicht Amerika. Ihm steht eine
pluralistische Zivilgesellschaft entgegen, eine unabhängige Justiz, unabhängige
Medien und die verfassungsdemokratischen Kräfte im Kongress. Amerika hat nicht
aufgehört, eine westliche Demokratie zu sein.“
[Der
Westen zerbricht nicht wegen Trump. Wenn der Westen zerbricht so wegen der
Uneinsichtigkeit der zurzeit agierenden EU-Politiker wie Juncker und Merkel,
die meinen, die EU müsse noch zentralistischer ‚von oben nach unten‘ strukturiert
werden.]
NZZ:
Sie zitieren in Ihrem Buch den französischen Politologen Jacques Rupnik,
der vom «Ende des liberalen Zyklus» schreibt. Was ist stattdessen entstanden,
wie würden Sie die Zeit charakterisieren, in der wir leben?
Winkler:
„Wir beobachten ein Erstarken illiberaler Kräfte in Ost und West.
Nationalpopulistische Protestbewegungen gibt es fast überall in Europa. In den
alten westlichen Demokratien sind sie, ausser in den USA, aber noch nirgends an
der Macht.
Die Rechtspopulisten richten sich vor allem gegen die Globalisierung im Zeichen
der Migrationsbewegungen und des Freihandels“
[wegen der Verarmung breiter
Bevölkerungsschichten].
NZZ:
Sie sehen solche Protestparteien auch als «Reaktion auf den
Glaubwürdigkeitsverlust», den westliche Regierungen durch ihre
Migrationspolitik erlitten haben. Was hat Deutschland in der Flüchtlingskrise
falsch gemacht?
Winkler:
„Ich kritisiere nicht die Entscheidung der Kanzlerin
vom 4.September 2015, den in Ungarn festsitzenden Migranten zu helfen.
[Frau Merkel sah sich
– völlig abgehoben von der Realität, in der falschen Meinung, sie würde damit
weltweit Popularität erhaschen – in den Fussstapfen des früheren deutschen
Aussenminister Genscher, der 1989 in Prag den in die Tschechoslowakei
eingedrungenen Ostdeutschen verkündete, dass sie in den Westen reisen können].
Winkler: Ich kritisiere, dass diese Entscheidung als
deutsch-österreichischer Alleingang zustande kam.
[Kotau
vor der deutschen Bundeskanzlerin Merkel.
Es
geht natürlich nicht an, effektive oder auch nur behauptete positive
Leistungen, Fortschritte Deutschlands der Frau Merkel gutzuschreiben; deutsches
Versagen, deutsches Fehlverhalten hingegen „Deutschland“ anzulasten. Denn Deutschland
ist eine ‚Bundeskanzler-Demokratie‘, dies erkennt die „Frankfurter Allgemeine
Zeitung“ nach den Bundestagswahlen: Da ist ein Link zum Deutschen Kaiserreich
sehr wohl angebracht, denn auch dieses kannte schon ein Parlament.]
Winkler: Deutschland
hat sich dadurch in einer Weise isoliert, wie das noch nie der Fall war in der
Geschichte der EU.
Ausserdem war es ein grosser Fehler zu behaupten, die deutschen Grenzen
seien nicht zu schützen.
Die Parole «Wir schaffen das» verdeckte Schwierigkeiten, die schon im
September 2015 zu erkennen waren. Die Kommunen stiessen sehr rasch an ihre
Grenzen.
Deutschland aber erweckte lange den Eindruck eines Landes der asylpolitisch
unbegrenzten Möglichkeiten.“
NZZ:
Sie formulieren in Ihrem Buch zwei Lehren aus der deutschen
Flüchtlingspolitik. Die erste ist eine Absage an die deutsche Überheblichkeit
im Zeichen der Willkommenskultur.
Warum ist der moralische Dünkel gerade in Deutschland so populär?
Winkler:
„Es gibt eine Reihe von Zeugnissen aus dem Jahre 2015, die deutlich machen,
dass Politiker, Publizisten, Vertreter der Kirchen und der Zivilgesellschaft
das Gefühl vermittelt haben, als bestehe jetzt endlich eine Möglichkeit, sich
vom Ruf der Schreckensnation des 20.Jahrhunderts zu befreien. Der Tenor war:
Wir können unser schlechtes Image loswerden, indem wir moralisch handeln und
andern sagen, sie sollten sich gefälligst an uns ein Beispiel nehmen.
Das ist eine neue Form von deutscher Arroganz.
Sie hat bei unseren Nachbarn zu Recht sarkastische
Reaktionen hervorgerufen.
Ich kann vor diesem neuen deutschen Grössenwahn nur
warnen. So einfach werden wir mit unserer Vergangenheit nicht fertig. Deutschland taugt
aufgrund seiner Geschichte nicht zur moralischen Leitnation Europas.“
NZZ:
Ihre zweite Lehre lautet: Keine Alleingänge. Sie
sprechen allerdings von einem deutsch-österreichischen Alleingang. Entlasten
Sie damit Deutschland nicht sogar ein wenig?
[Natürlich, Winkler wendet alle Kritik von Merkel ab.
Schuld war der Österreicher Fymann, der Frau Merkel angerufen hat. Die konnte
dann ja gar nicht anders.]
Winkler:
„Ohne den Telefonanruf von Werner Faymann bei Angela Merkel wäre die
überstürzte Grenzöffnung 2015 nicht zustande gekommen.
Ich wundere mich bis heute, warum es nicht möglich gewesen sein soll, sich
ein paar Stunden lang strategische Gedanken zu machen und sich mit den
EU-Nachbarn abzusprechen.
Ausserdem hätte Merkel bald Vorkehrungen treffen müssen, um ihre
Entscheidung durch den Bundestag zu legitimieren.
[Die Legitimation
durch den Bundestag wäre nötig gewesen: Es soll in der neuen Legislaturperiode
einen Untersuchungsausschuss zu diesem Thema geben. Warten wir ab – der wird
ganz sicher verhindert werden.
Denn in
Merkel-Deutschland hat der Bundestag nur eine Aufgabe, den Merkel’schen Willen
abzunicken. So gesehen ist die fehlende Bundestagsdebatte keine grosse Sache.]
Winkler: Die
Bundesregierung [Frau Merkel] hat
sich zwar von dieser Politik mittlerweile abgewandt, aber ohne ein Mindestmass
an Selbstkritik.
Eine solche Politik ist auf die Dauer nicht glaubwürdig.
Auch im Bereich der Asyl- und Migrationspolitik sollte gelten: Wir wollen
kein deutsches Europa, sondern ein europäisches Deutschland.“
[Gibt
es in der EU einen Bereich, in dem nicht Deutschland der EU befiehlt? In dem es
nicht um ein deutsches Europa geht?].
NZZ:
Man merkt auch jetzt noch: Diese Politik hat Sie
geärgert.
Winkler:
„Ja. Ich habe meine Kritik erstmals im September 2015
in einem Grundsatzartikel in der «FAZ» geäussert. Ich sehe mich leider durch
die Entwicklungen, die danach eingetreten sind, voll und ganz bestätigt.“
NZZ:
Die USA sind nach der Wahl Trumps in der Krise. Sie schreiben, die EU
könnte ein Korrektiv bilden, das den transatlantischen Westen stütze. Sie ist
faktisch aber weit davon entfernt. Woran mangelt es?
Winkler:
„Solange es kein normatives Wir-Gefühl mehr gibt, …
[hat
es in der EU je ein ‚normatives Wir-Gefühl‘ gegeben? Wann? Was ist das
überhaupt. Ein ‚normatives Wir-Gefühl‘?]
Winkler: … kann die EU in den grossen Fragen nicht mit
einer Stimme sprechen.
Sie kann allenfalls ein Zweckverband zum Schutz des Binnenmarktes und der
Aussengrenzen sein. Damit bleibt sie aber weit hinter dem zurück, was sie
bisher angestrebt hat.
Zurzeit ist die EU keine Wertegemeinschaft; in ihr
koexistieren liberale und illiberale Demokratien.
Die Vorschläge des französischen Präsidenten Macron
werden uns noch intensiv beschäftigen. Sie bieten vielleicht die Chance für
einen historischen deutsch-französischen Kompromiss.
Aber am wichtigsten ist: Die liberalen Staaten müssen wieder
stärker zusammenarbeiten, um dem Populismus Paroli zu bieten“.
[Heinrich
August Winkler ist ein typischer Deutscher, ein Untertan: Er setzt seine
Kritiken – siehe oben – nicht in klare politische Forderungen um sondern
verbleibt beim Wischiwaschi „des wieder stärker Zusammenarbeitens“. Er müsste
in Konsequenz seiner Kritik fordern, dass vor allem Deutschland, konkret die
Bundeskanzlerin Merkel ihre Politik grundsätzlich ändern muss. Vereinfacht: Nicht
nur „die Sorgen der Bürger ernst nehmen“, sondern für Abhilfe sorgen. Aber
solange die abgehobene, unsägliche Frau Merkel festhält, dass an ihrem Kurs, an
ihrer Politik nichts geändert werden muss, da sie nichts falsch gemacht hat
(„F.A.Z.“: „Non, je ne regrette rien“) wird sich die EU-Situation in keiner
Weise zum Guten wenden].
NZZ:
Birgt eine Vertiefung der EU, wie sie Macron anstrebt, nicht die Gefahr,
sie noch weiter zu spalten? Die Briten sind nicht ausgetreten, weil sie ein
«Zuwenig» an Europa vermisst hätten.
Winkler:
„Es darf nicht mehr Europa um den Preis von weniger
Demokratie geben.
Der Euro-Frust rührt daher, dass viele Entscheidungen über die Köpfe der
Betroffenen hinweg getroffen wurden.
In der EU findet eine «Verselbständigung der Exekutivgewalt» statt, um
einen Begriff von Karl Marx zu verwenden.
Demokratische Einigungsprozesse mögen mühsam sein, aber sie sind wichtig,
um dem Gefühl der Entfremdung von der EU entgegenzuwirken.
Europa wird nicht gegen die Nationen und
Nationalstaaten vereinigt werden.
Wer wie Robert Menasse oder Ulrike Guérot das Ende des
Nationalstaats verkündet, wird genau das Gegenteil erreichen. Ihre Statements
zu Europa leisten ungewollt Beihilfe zu nationalpopulistischen Ressentiments.“
[Und,
Herr Heinrich August Winkler, die Konsequenzen?]
NZZ:
Für wie wahrscheinlich halten Sie «Jamaica»?
Winkler:
„Die Chancen stehen fifty-fifty. Den Konsens zu finden, dürfte in dieser
Konstellation schwierig sein. Ob eine Jamaica-Koalition vier Jahre lang halten
würde, ist deshalb eine offene Frage. Aber es ist notwendig, den Versuch zu
wagen
Scheitert das Projekt, sind Neuwahlen nicht zu
vermeiden.“
[Das
wäre die Gelegenheit sich der Frau Merkel zu entledigen. Sie hat lange genug
„regiert“ und genügend Schaden angerichtet].
NZZ:
Eine Neuauflage der grossen Koalition halten Sie für ausgeschlossen?
[Frau Merkel hat in den letzten vier Jahren sämtliche
Trennlinien zur SPD aufgehoben und so diese ausgesaugt; im Endresultat ist sie
in der vorletzten Legislaturperiode mit der FDP so umgesprungen – eine Spinne
in ihrem Netz].
Winkler:
„Ich halte das nicht nur für extrem unwahrscheinlich,
sondern auch nicht für wünschenswert. Denn es ist fast ein Gesetz, dass ein
solches Bündnis zum Erstarken der Ränder führt. Käme es noch einmal zu einer
grossen Koalition, würden die Union und die SPD wohl weiter krass an Stimmen
verlieren; …
[warum,
Herr Winkler, warum?]
Winkler: … vermutlich brächten sie in vier Jahren eine
Mehrheit im Bundestag gar nicht mehr zustande. Dann wäre die deutsche
Demokratie ernsthaft gefährdet“.
[In Deutschland waren in den letzten
Jahren die Grenzen was gedacht und gesagt werden konnte enger gezogen als dies
einer Demokratie gut tut („NZZ“). Frau Merkel ist ein einer Diktatur
sozialisiert worden].
[Auf
gar keinen Fall, es gäbe einen grundsätzlichen Wandel von der Bundeskanzler-„Demokratie“
zur Allparteienregierung, mit vermehrten Volksrechten. Aber das scheut das
etablierte Deutschland, das immer noch im Schema von oben nach unten denkt und
handelt, bei dem die Obrigkeit exakt weiss, was dem Bürger frommt und daher
diesem Vorschriften macht, ihn mit Ermahnungen und Belobigungen - Orden und
andere Auszeichnungen, öffentliche Belobigungen, wie zu Kaiser Wilhelm II.
Zeiten, diesem Versager - auf dem „rechten Weg“ hält].
Winkler:
„Eine nachmalige grosse Koalition wäre ein
Förderprogramm für die AfD“
[Hallo Herr Winkler:
Frau Merkels Regierungsstil
und Regierungsinhalt hat bei den Bundestagswahlen 2017 bereits als
Förderprogramm für die AfD gewirkt:
Bei diesen Bundestagswahlen
haben sich 5 Millionen Wählerinnen und
Wähler von der GroKo abgewandt und der AfD zugewandt. Aus allen Schichten
der Bevölkerung. Neueste schmerzhafte Erkenntnisse: die bürgerliche Mitte hat
Frau Merkel verlassen].
Heinrich August Winkler ist emeritierter Professor für
neueste Geschichte an der Humboldt-Universität Berlin.
Sein jüngstes Buch trägt den Titel: «Zerbricht der
Westen? Über die gegenwärtige Krise in Europa und Amerika».