AHV Plan B Zückerli zu klein – FAZ
F.A.Z. - Wirtschaft
Montag, 25.09.2017
Schweizer lehnen Rentenreform ab
Die Schweizer Politik steht vor einem Scherbenhaufen: Wieder
scheitert der Versuch, die Rente zu stabilisieren. Nun droht ein
Milliardendefizit.
rit. ZÜRICH, 24. September. Die Schweiz muss einen neuen Anlauf
nehmen, um ihr Rentensystem auf eine solide Basis zu stellen. Die Stimmbürger
haben die vom Parlament im März mit knapper Mehrheit beschlossene Rentenreform
abgelehnt. In der mit Spannung erwarteten Abstimmung am Sonntag votierten rund
53 Prozent gegen die Vorlage, an der Parlament und Regierung fast fünf Jahre
lang gearbeitet hatten. Nachdem in den vergangenen 20 Jahren schon vier
Reformversuche gescheitert waren, steht die Politik damit vor einem
Scherbenhaufen. Sie muss nun neue Wege finden, um die drohenden Lücken in der
staatlichen und betrieblichen Vorsorge zu schließen.
Die umlagefinanzierte staatliche Alters- und
Hinterbliebenenversicherung (AHV) gerät wegen der demographischen Entwicklung
immer stärker aus der Balance. 1990 standen jedem Rentner noch vier
Erwerbstätige gegenüber. Im Jahr 2040 könnte sich dieses Verhältnis auf eins zu
zwei verschlechtern, weniger Arbeitnehmer werden also für immer mehr Rentner
sorgen müssen. Mit einer Lebenserwartung von durchschnittlich 83 Jahren werden
die Eidgenossen obendrein älter als alle anderen, einschließlich der Deutschen.
Nach Berechnungen des Schweizer Bundesamtes für Sozialversicherungen droht der
AHV im Jahr 2030 ein Defizit von 7 Milliarden Franken.
Mit der federführend vom sozialdemokratischen Innen- und
Sozialminister Alain Berset konzipierten Reform sollte die AHV über eine
Angleichung des Renteneintrittsalters für Frauen auf das Niveau der Männer (65
Jahre) sowie über eine Mehrwertsteuererhöhung finanziell gestützt werden.
Zugleich aber sollte jeder Neurentner künftig monatlich 70 Franken Rente
hinzubekommen. Was als Ausgleich für geplante Rentenkürzungen in der
kapitalgedeckten betrieblichen Altersvorsorge dienen sollte, stieß im Lager der
Konservativen und Liberalen nicht auf Gegenliebe: Schweizerische Volkspartei
(SVP) und FDP lehnten die Ausgabenerhöhungen ab und stimmten im Parlament
seinerzeit gegen die Reform. Ablehnung gab es außerhalb des Parlaments aber
auch in Teilen des linken Lagers, wo man sich vor allem an der Anhebung des
Renteneintrittsalters für Frauen störte.
Hans-Ulrich Bigler (FDP), Direktor des Schweizerischen
Gewerbeverbands, interpretierte das Abstimmungsergebnis als Auftrag an das
Parlament, nun rasch Korrekturen vorzunehmen und eine „echte Reform“ anzugehen.
Die FDP hat schon einen Plan B in der
Schublade: Die drittstärkste politische Kraft der Schweiz plädiert dafür, das
gewaltige Reformpaket in besser verdauliche Teilvorlagen zu stückeln und diese
etappenweise den Bürgern vorzulegen. In einem ersten Schritt sollen demnach das
Frauenrentenalter auf 65 Jahre sowie die Mehrwertsteuer erhöht, das Rentengeschenk
von 70 Franken aber gestrichen werden. In einem zweiten Schritt will man den
sogenannten Umwandlungssatz in der betrieblichen Vorsorge senken, der bestimmt,
wie viel Prozent des angesparten Kapitals als jährliche Betriebsrente
ausgezahlt wird.
Nach Einschätzung von Peter Grünenfelder, Direktor der liberalen
Denkfabrik Avenir Suisse, könnte eine Reform ohne den 70-Franken-Obolus
durchaus Chancen auf Erfolg haben. Dieses teure Zückerchen stehe aus Sicht der
Bevölkerung zu sehr im Widerspruch zum eigentlichen Ziel der Reform, die
Finanzlage in der AHV zu stabilisieren. Von Gewerkschaftsseite hieß es
hingegen, der Zuschuss sei wohl eher zu niedrig veranschlagt gewesen. Die
Sozialdemokratische Partei kündigte an, eine Erhöhung des Rentenalters ohne eine
Gegenleistung frontal zu bekämpfen.
Dabei zeigt der Blick über den Tellerrand: Andere Industriestaaten
springen in Sachen Rentenalter schon viel weiter als die Eidgenossenschaft: 17
OECD-Länder haben die Weichen für eine Anhebung des Rentenalters auf 67 Jahre
gestellt. In Irland und Island soll die Pensionsgrenze sogar auf 68 respektive
69 Jahre steigen.