Montag, 2. Oktober 2017

Die Schweizer Politik steht vor einem Scherbenhaufen: Wieder scheitert der Versuch, die Rente zu stabilisieren. Nun droht ein Milliardendefizit.


AHV Plan B Zückerli zu klein – FAZ
F.A.Z. - Wirtschaft
Montag, 25.09.2017

Schweizer lehnen Rentenreform ab


Die Schweizer Politik steht vor einem Scherbenhaufen: Wieder scheitert der Versuch, die Rente zu stabilisieren. Nun droht ein Milliardendefizit.
rit. ZÜRICH, 24. September. Die Schweiz muss einen neuen Anlauf nehmen, um ihr Rentensystem auf eine solide Basis zu stellen. Die Stimmbürger haben die vom Parlament im März mit knapper Mehrheit beschlossene Rentenreform abgelehnt. In der mit Spannung erwarteten Abstimmung am Sonntag votierten rund 53 Prozent gegen die Vorlage, an der Parlament und Regierung fast fünf Jahre lang gearbeitet hatten. Nachdem in den vergangenen 20 Jahren schon vier Reformversuche gescheitert waren, steht die Politik damit vor einem Scherbenhaufen. Sie muss nun neue Wege finden, um die drohenden Lücken in der staatlichen und betrieblichen Vorsorge zu schließen.
Die umlagefinanzierte staatliche Alters- und Hinterbliebenenversicherung (AHV) gerät wegen der demographischen Entwicklung immer stärker aus der Balance. 1990 standen jedem Rentner noch vier Erwerbstätige gegenüber. Im Jahr 2040 könnte sich dieses Verhältnis auf eins zu zwei verschlechtern, weniger Arbeitnehmer werden also für immer mehr Rentner sorgen müssen. Mit einer Lebenserwartung von durchschnittlich 83 Jahren werden die Eidgenossen obendrein älter als alle anderen, einschließlich der Deutschen. Nach Berechnungen des Schweizer Bundesamtes für Sozialversicherungen droht der AHV im Jahr 2030 ein Defizit von 7 Milliarden Franken.
Mit der federführend vom sozialdemokratischen Innen- und Sozialminister Alain Berset konzipierten Reform sollte die AHV über eine Angleichung des Renteneintrittsalters für Frauen auf das Niveau der Männer (65 Jahre) sowie über eine Mehrwertsteuererhöhung finanziell gestützt werden. Zugleich aber sollte jeder Neurentner künftig monatlich 70 Franken Rente hinzubekommen. Was als Ausgleich für geplante Rentenkürzungen in der kapitalgedeckten betrieblichen Altersvorsorge dienen sollte, stieß im Lager der Konservativen und Liberalen nicht auf Gegenliebe: Schweizerische Volkspartei (SVP) und FDP lehnten die Ausgabenerhöhungen ab und stimmten im Parlament seinerzeit gegen die Reform. Ablehnung gab es außerhalb des Parlaments aber auch in Teilen des linken Lagers, wo man sich vor allem an der Anhebung des Renteneintrittsalters für Frauen störte.
Hans-Ulrich Bigler (FDP), Direktor des Schweizerischen Gewerbeverbands, interpretierte das Abstimmungsergebnis als Auftrag an das Parlament, nun rasch Korrekturen vorzunehmen und eine „echte Reform“ anzugehen. Die FDP hat schon einen Plan B in der Schublade: Die drittstärkste politische Kraft der Schweiz plädiert dafür, das gewaltige Reformpaket in besser verdauliche Teilvorlagen zu stückeln und diese etappenweise den Bürgern vorzulegen. In einem ersten Schritt sollen demnach das Frauenrentenalter auf 65 Jahre sowie die Mehrwertsteuer erhöht, das Rentengeschenk von 70 Franken aber gestrichen werden. In einem zweiten Schritt will man den sogenannten Umwandlungssatz in der betrieblichen Vorsorge senken, der bestimmt, wie viel Prozent des angesparten Kapitals als jährliche Betriebsrente ausgezahlt wird.
Nach Einschätzung von Peter Grünenfelder, Direktor der liberalen Denkfabrik Avenir Suisse, könnte eine Reform ohne den 70-Franken-Obolus durchaus Chancen auf Erfolg haben. Dieses teure Zückerchen stehe aus Sicht der Bevölkerung zu sehr im Widerspruch zum eigentlichen Ziel der Reform, die Finanzlage in der AHV zu stabilisieren. Von Gewerkschaftsseite hieß es hingegen, der Zuschuss sei wohl eher zu niedrig veranschlagt gewesen. Die Sozialdemokratische Partei kündigte an, eine Erhöhung des Rentenalters ohne eine Gegenleistung frontal zu bekämpfen.
Dabei zeigt der Blick über den Tellerrand: Andere Industriestaaten springen in Sachen Rentenalter schon viel weiter als die Eidgenossenschaft: 17 OECD-Länder haben die Weichen für eine Anhebung des Rentenalters auf 67 Jahre gestellt. In Irland und Island soll die Pensionsgrenze sogar auf 68 respektive 69 Jahre steigen.

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