Montag, 12. Oktober 2015

Wiedergabe des Briefes an die NZZ-Redaktion mit dem Titel: "Die NZZ auf Abwegen - Defaitistische Haltung - "Falsche Signale an die EU" - Anerkennung der Arbeit des Nationalrates



Jürg Walter Meyer
20. Oktober 2014
Per E-Mail


Neue Zürcher Zeitung

Herrn
Markus Spillmann
Chefredaktor

Herrn
Dr. René Zeller
Chef Inlandredaktion

Zürich



Die „NZZ“ auf Abwegen


Sehr geehrter Herr Spillmann,
Sehr geehrter Herr Doktor Zeller,


Ich habe in meinem Elternhaus die „NZZ“ gelesen lange schon bevor Sie beide geboren wurden. Die „NZZ“, die Zeitung der grosselterlichen Familien und meiner Eltern begleitet mich seit Jahrzehnten. Ich habe mich aber noch nie so geärgert wie in letzter Zeit über den Kurs der „NZZ“ – wenn man überhaupt noch von einem Kurs reden kann.

Ihre Zeitung sendet falsche Signale aus - vor allem ans Ausland, konkret an die EU.
Ich nehme Anstoss an der „Berichterstattung“ über die eidgenössischen Räte und die permanente, schadenstiftende Kritik, die wohl ihrer persönlichen Sicht entspricht, aber weder zutreffend, geschweige denn hilfreich ist.
Ich nehme Anstoss an der defaitistischen Haltung der „NZZ“, wie sie sich im Artikel von Herrn Simon Gemperli manifestiert: „Solche Entwicklungen [hier: das neue integrationistische Selbstverständnis der EU], sind nur zu bewältigen, indem man sie als unaufhaltbar anerkennt und die eigenen Strategien entsprechend anpasst“ in: „Selbstbezogene Schweiz“ – „Unbehagen im Erfolgsstaat („NZZ“, vom 15.08.2014); Link: http://rhoenblick.blogspot.de/2014/09/replik-nzz-zugewiesene-freiheit-ist.html .
und
im Artikel von Herrn Martin Senti: „Wenn es wirklich darauf ankommt, gibt es leider nur einen verlässlichen Vorrang: das Recht des Stärkeren“ in „Streit um Normenhierarchie“ – „Landesrecht und entgrenzte Demokratie“ („NZZ“, vom 29.09.2014).

Diese unserem Land Schaden zufügende Haltung gipfelt im Twitter Ihres Brüsseler Redaktors Niklaus Nuspliger:
              „Souveränität als Schweizer Lebenslüge“ 

Wo wäre die Schweiz heute, sehr geehrte Herren, wenn Ihre Ur- und Grosseltern-Generation sich gegenüber dem Dritten Reich und seinem Trabanten Mussolini so verhalten hätte: „Wenn es wirklich darauf ankommt, gibt es leider nur einen verlässlichen Vorrang: das Recht des Stärkeren“? Ähnliche Misstöne habe ich von NR Ruedi Noser (fdp. ZH) im Zusammenhang mit der Ablehnung der „Lex USA“ vernommen. Herr Noser wurde überstimmt und das war gut so.
Es fragt sich, ob die Journalisten der „NZZ“ noch einen Bezug zur Lage der Schweiz in der Zeit von 1933 bis 1945 haben; den müssten ihnen ihre Eltern- oder Grosseltern-Generationen vermittelt haben. Es ist bedauerlich, dass die heutige „NZZ“ anscheinend nicht mehr weiss, wie sich ihr Chefredaktor Willy Bretscher (1897 – 1992; Chefredakteur von 1933 bis 1967) gegen das sogenannte „Recht des Stärkeren“ zur Wehr gesetzt hat – mit Erfolg.

Nun, zurück zum Artikel von Herrn Simon Gemperli, der u.a. schreibt: „Die eine Option ist ein neues, zukunftsfähiges Arrangement mit der EU, das supranationale Elemente und die Personenfreizügigkeit enthält, aber auch neue Abkommen und Beteiligungsmöglichkeiten“.

[Der folgende Abschnitt hat - leider - inhaltlich keinen Gültigkeit mehr. Denn, der Bundesrat hat ein neues Verhandlungsmandat formuliert, er hat ein "Paket geschnürt" und einen neuen Chefunterhändler bestimmt. ]
"In der „SRF Tagesschau“ vom 16.10. orientiert unser Bundespräsident und Vorsteher des Departementes für auswärtige Angelegenheiten, Didier Burkhalter, über das, was in den laufenden Verhandlungen mit der EU bis jetzt erreicht worden ist. Unser Land wird auch weiterhin EU-Recht nicht automatisch übernehmen. Die generelle Überwachung in der Schweiz wird durch die Schweiz erfolgen –und nicht durch die EU, genauer: nicht durch die 28 EU-Länder- „das hätti grad no g‘fehlt!“; Link: http://www.srf.ch/player/tv/tagesschau/video/bruessel-und-bern-kommen-voran-%E2%80%93-ein-bisschen?id=6eb3e2ef-8d2b-4f3d-b284-47372c85eaf2 .
Gehen die Gespräche betreffend Rechtsauslegung und Streitkultur (fremde Richter) im gleichen Sinne weiter, so werden das ganz andere Optionen sein, als die, die Ihr Herr Gemperli uns als „unaufhaltbar“ hat empfehlen wollen."



[Zur Aktualisierung - nicht im Brief enthalten:

„NZZ“ vom; 24.06.2015; "Beziehungen zur EU - Bundesrat will umfassend verhandeln";
"(sda) Man wisse nicht, ob es aus den umfassenden Verhandlungen ein Paket resultiere, sagte Aussenminister Didier Burkhalter am Mittwoch nach einer europapolitischen Diskussion des Bundesrats vor den Medien in Bern. Die Schweiz habe aber ein Interesse daran, mit der EU über alle Themen gleichzeitig zu sprechen. Bei einem Dossier sei man sehr rasch blockiert, bei Gesprächen über mehrere Dossiers öffne sich vielleicht wieder neuer Spielraum.

Bei der Rechtsübernahme, der Überwachung der Anwendung von bilateralen Abkommen und bei der Auslegung haben die Delegationen inzwischen Lösungen gefunden."

Da sind sehr berechtigte Zweifel am Platz. Herr Rossier hatte mit Herrn David O'Sullivan in der vergangenen Legislaturperiode von EU-Kommission und EU-Parlament Gespräche geführt, der aber ist in der Versenkung verschwunden. Herr Rossier wird ersetzt:

"Tagesanzeiger" vom 19.05.2013: "Ja es sind fremde Richter"; Link: http://www.tagesanzeiger.ch/schweiz/standard/Ja-es-sind-fremde-Richter/story/27526268?track .
«Ja, es sind fremde Richter»
"Staatssekretär Yves Rossier schlägt vor, dass der Europäische Gerichtshof Streitigkeiten im bilateralen Verhältnis zwischen der Schweiz und der EU regelt. Von dieser Lösung könne auch die Schweiz profitieren. "

Seither hat sich gar nichts geändert.

"Die SVP sprach von einer «Schlaumeierei» und einem faktischen Vetorecht der EU bei der Umsetzung ihrer Initiative."

„Tages-Anzeiger“ am 26.06.2015: „Vier mögliche Kandidaten für den «Super-Gattiker»“;
 „Am Mittwoch richtete der Bundesrat seine Verhandlungsstrategie mit der EU neu aus – er will einen Chefunterhändler einsetzen, der für alle Dossiers von Migration über Strom bis zu «fremden Richtern» zuständig ist. Nun zeigt sich: Aussenminister Didier Burkhalter spielte schon länger mit dem Gedanken, die einzelnen Stränge der blockierten Verhandlungen zusammenzufassen. In einem Interview mit dem Westschweizer Radio von Ende April dieses Jahres sagte er, es werde «zum gegebenen Zeitpunkt» nötig sein, die Gespräche mit Brüssel zu konzentrieren und zu «globalen Verhandlungen» überzugehen. Der Versuch, in den verschiedenen Bereichen getrennt vorwärtszukommen, sei gescheitert. «Es stimmt, wir können es besser machen», sagte Burkhalter im Interview.“



Fortsetzung des Briefes an die Herren Spillmann und Doktor Zeller:

Auch auf einem anderen Gebiet scheint die Auseinandersetzung mit der EU in vernünftige Bahnen einzuschwenken: Die Schweiz hat mit der EU ein Steuerabkommen unterzeichnet – nach zehn Jahren Streit. Gewiss, das von Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf erreichte Abkommen ist erst der Anfang – aber die Schweiz hat die Unternehmenssteuerreform III gestartet und wird versuchen neue Regelungen zu treffen, wie sie in EU-Ländern wie den Niederlanden oder wie Irland von der EU / der OECD widerwillig anerkannt werden. Gemäss dem Abkommen werden keine Schweizer Firmen mehr auf schwarzen Listen stehen oder mit anderen Strafmassnahmen schikaniert werden; das ist eine deutliche Verbesserung der Lage unserer Wirtschaft.


Herr Häfliger, d.h. die „NZZ“ beanstandet, dass das Parlament sich so stark „gegen den Bundesrat auflehnt“.

Nun, ich erinnere Sie, sehr geehrte Herren an die “NZZ“- Karikatur von Herrn Peter Gut; Link: http://rhoenblick.blogspot.de/2014/02/so-nicht-die-nzz-taucht-unter-ihr-niveau.html .
oder an den Artikel von Herrn Simon Gemperli „Zu viel der Ehre für Didier Burkhalter“; Link:  http://www.nzz.ch/schweiz/ehrenkoktor-der-universitaet-neuenburg----uuviel-der-ehre-fuer-didier-burkhalter-1.18321373 .
Dies in einer Zeit, in der sich unser Bundespräsident kräftig und erfolgreich für unser Land einsetzt - sei dies gegenüber der EU oder sei dies indirekt als amtierender Vorsitzender der OECD.
In der nach wie vor nicht einfachen Lage unseres Landes, das seine Interessen gegenüber der OECD / der EU, gegenüber den USA durchzusetzen hat, heisst es nach wie vor: „Serrez-les rangs!“.

Der Artikel von Herrn Markus Häfliger „Vom Volk getrieben und zügelloser“ (18.10.2014, Internationale Ausgabe erst am 20.10.2014), der das Fass zum Überlaufen gebracht hat, kann in einem Leserbrief von begrenzter Länge nicht umfassend abgehandelt werden.

Herr Häfliger zitiert die CVP-Nationalrätin Lucrezia Meier-Schatz (SG), die meint, dass das Parlament zunehmend überfordert sei. Es versteht sich von selbst, dass Frau Meier-Schatz sich selber davon ausnimmt. Nun, ein Parlament bildet mehr oder weniger ein Volk ab. Da ist es die Aufgabe des Bundesrates und seiner Staatsminister / Beamten ihre Berichte / Anträge so zu formulieren, beim mündlichen Vortrag die Angehörigen der Bundesversammlung so zu orientieren, wie dies auch ein Vortragender, der beim Publikum ankommen will, zu tun pflegt: Fachausdrücke werden vorerst möglichst weggelassen oder, wenn sie unvermeidbar sind, an Beispielen erklärt. In Deutschland werden EU-Vorlagen den Bundestagsabgeordneten (MdB) in englischer Sprache vorgelegt – da ist die Überforderung vorprogrammiert. Die Aussage „überfordert“ ist eine Keule, mit der parlamentarische Diskussionen/ Auseinandersetzungen verhindert werden sollen. Der Deutsche Bundestag wollte Orientierung und Beschlussfassung über EU-Vorlagen einem Geheimratskollegium von sieben oder neun (?) MdB überlassen. Das Bundesverfassungsgericht hat diese Kopfnicker eines Besseren belehrt und die Geheimniskrämerei verboten. Die MdB sind hauptsächlich auf ihr Wohlergehen bedacht- was man von unseren National- und Ständeräten beiderlei Geschlechts - „Gott sei Dank“ - nicht sagen kann; Ausnahmen gibt es immer. Wenn es in Deutschland keinen Bundesverfassungsgerichtshof gäbe, so wäre Deutschland eine Bananenrepublik. Es ist dabei zu bedenken, dass Deutschland erst seit knapp 70 Jahren demokratische Staatsformen übt, dass das von den siegreichen Alliierten initiierte Grundgesetz noch nie dem Volk vorgelegt worden ist, somit keinen Verfassungsrang hat.
Kurz zurück zu Frau Lucrezia Meier-Schatz: sie hat die vom Bundesart vorgelegte Gripen-Vorlage bekämpft. Sie hat sich also auch „gegen den Bundesrat aufgelehnt“.

Meinen Ausführungen entnehmen Sie, dass ich mit der Arbeit unserer Bundesrätinnen und Bundesräte zufrieden bin; mehr noch, ich bin dankbar. Der heutige Bundesrat unterscheidet sich sehr deutlich und angenehm von der Ära Furgler et al., dem ich im Militärdienst begegnet bin. Dies ist allerdings absolut kein Widerspruch zu meiner Kritik an der Haltung der „NZZ“ gegenüber unserem Parlament, insbesondere gegenüber unseren NationalrätInnen, wie sie in Titel und Schlagzeilen des Beitrages von Herrn Markus Häfliger kulminiert.
Denn - unser Bundesrat weiss, dass er ein kritisches Parlament vor sich hat. Ein Nationalrat, der sich von bundesrätlichem Drängeln nicht beeinflussen lässt und, zum Beispiel, die „Lex USA“ – trotz den bundesrätlichen Hinweisen auf diffuse US-Drohungen, die beim Scheitern der Vorlage Wirklichkeit würden, nicht beeinflussen lässt und die Vorlage bachab schickt. Es sind nun die Banken, genauer: die Banker, die durch ihr Verhalten unserem Land wirtschaftlichen Schaden zugefügt, die das Renommée der Schweiz beeinträchtigt, sich selbst aber den Wanst mit Boni gestopft haben direkt und zum Teil sogar persönlich gefordert. Ein kluger, tapferer, wegweisender Entscheid des Nationalrates. Die vom Bundesrat beschworenen Drohungen haben sich in Luft aufgelöst.

Ich wünsche mir zum Wohle meiner Heimat, der Heimat meiner Kinder und Kindeskinder weiterhin einen Nationalrat, der die Anträge des Bundesrates in seinem Sinne überarbeitet oder zurückweist - auch wenn Ihnen dies, sehr geehrter Herr Spillmann, sehr geehrter Herr Doktor Zeller, nicht in den Kram passt. 
[Neu:
Der Nationalrat vertritt die Interessen und Haltungen der Schweizerinnen und Schweizer]


Mit freundlichen Grüssen
aus der „Großen Kreisstadt“ Leimen bei Heidelberg an die „NZZ“ in meinen Bürgerort Zürich; der Stadt, in der ich aufgewachsen bin, studiert und meine ersten politischen Sporen abverdient habe.


Jürg Walter Meyer

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