Mittwoch, 27. Juli 2022

PUTIN HAT DAS SAGEN

PUTIN HAT DAS SAGEN




Quelle:
t-online, eine Publikation die den Ukraine-Krieg ganz im Sinne der Amerikaner sieht und dementsprechend heftig gegen Russland agitiert.

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Von Daniel Mützel
Aktualisiert am 27.07.2022 - 08:19 Uhr Lesedauer: 7 Min.
Wladimir Putin: Der Kremlchef erpresst den Westen mit einem Gasstopp, um die Unterstützung für die Ukraine zu untergraben.

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

haben Sie heute Nacht auch von der Turbine SGT-A65 geträumt? Ich hoffe nicht, aber falls doch, teilen Sie diesen Albtraum derzeit wahrscheinlich mit vielen deutschen Politikern. Die in Kanada reparierte Gasturbine, die auf ihren Einsatz in der Ostseepipeline Nord Stream 1 wartet, ist zum Inbegriff für Putins Gaskrieg gegen Deutschland geworden.

Die Ampel reagierte schreckhaft: Worst-Case-Szenarien wurden verbreitet, Russland-Sanktionen unterlaufen, westliche Partner vergrätzt. Die Siemens-Turbine galt als "essenziell", um überhaupt wieder russisches Gas durch die Leitung zu liefern. So ließ es zumindest der Kreml verlauten und Deutschland beeilte sich, die Bedingungen zu erfüllen.

Mittlerweile fließt wieder Gas durch die deutsch-russische Schicksalsröhre – seit heute noch etwas weniger –, doch die Turbine ist immer noch nicht zurück in Russland. Mehr noch: Ihr Aufenthaltsort ist seit Tagen ein Mysterium. Kaum jemand weiß, wo sie zu finden ist.
Die Siemens Energy SGT-A65 Turbine, eine der zentralen Karten im Machtpoker um die Ostsee-Pipeline Nord Stream 1.
Die Siemens Energy SGT-A65 Turbine, eine der zentralen Karten im Machtpoker um die Ostsee-Pipeline Nord Stream 1. (Quelle: Siemens AG)

Gläubige Christen würden in dieser Notlage den heiligen Antonius anrufen, der gemäß der Legende beim Auffinden verlorener Gegenstände hilft. In meiner Kindheit war ich oft Zeuge häuslicher Suchaktionen im Namen von "Schlampertoni" – so wird er liebevoll in Bayern genannt –, daher weiß ich, dass der alte Franziskanermönch durchaus wählerisch ist. Nicht jeder Gegenstand ist seiner Hilfe würdig. Manch ein Autoschlüssel oder Führerschein ist bis heute nicht aufgetaucht.

Immerhin: Siemens ließ am Montag durchblicken, die Turbine habe eine Fähre nach Finnland verpasst und befinde sich derzeit auf deutschem Boden. Aber wo genau und wann sie abtransportiert wird, bleibt ein Rätsel. Auch die Bundesregierung hüllt sich in Schweigen und verweigert Auskunft darüber, "wo sich die Turbine wann befindet".

Sie mögen nun einwenden, eine Gasturbine für Russland falle nicht in die Zuständigkeit von Schlampertoni. Überhaupt sei das Thema zu ernst für eine ironische Kommentierung.

Ich möchte Ihnen widersprechen. Schließlich ist die Endlossaga um die Nord-Stream-Turbine genau das: ein politisches Spiel des Kremls, wenn auch ein ausgesprochen zynisches. Denn noch bevor die eine Turbine zurück ist, meldete der russische Betreiber Gazprom am Montag ein Problem mit einer weiteren Turbine. Die Folge: Halbierung der Gasmenge durch die Nord-Stream-Leitung. Ab diesem Mittwoch fließen nur noch 33 Millionen Kubikmeter pro Tag nach Deutschland, rund 20 Prozent der maximalen Auslastung.

Spätestens da war klar: Die Turbine ist nur ein Vorwand, um Deutschland zu erpressen. Ein politisches Theaterstück, aufgeführt von Putins KGB-Clique im Kreml, um dem Westen seine Verwundbarkeit vor Augen zu führen. Mit Erfolg – das Tauziehen um die Turbine war ein kluger Schachzug des Kremls. Die Bilanz:

- westliche Partner, die aufeinander losgehen
- Sanktionen, die aus nationalem Eigennutz unterlaufen wurden
- eine Turbine, die im Nirgendwo strandet
- Gas, das am Ende trotzdem gedrosselt wird

Man wollte dem Kreml keine Vorwände liefern, Deutschland das Gas komplett abzudrehen, begründete die Ampel ihr Vorgehen. Sogar von drohenden "Volksaufständen" fabulierte ausgerechnet Außenministerin Annalena Baerbock, die ansonsten einen klaren Russland-Kurs fährt. Doch am Ende schnappte Putins Falle zu, die Bundesregierung lief sehenden Auges hinein.
Verrannte sich mit ihrer Warnung vor "Volksaufständen" in Deutschland: Außenministerin Annalena Baerbock.

Jetzt werden viele sagen: War doch klar. Wusste ich bereits! Russland schafft ja permanent irgendwelche Vorwände, um seine Ziele zu erreichen. Korrekt. Doch die Erpressung von Staaten ist eine komplexe politische Operation. Sie erfordert Feingefühl und hängt von vielen Faktoren ab: Knickt der Erpresste ein oder gelingt es ihm, Gegendruck zu mobilisieren? Wo liegt die Achillesferse, wann zuschlagen? Bietet der Erpresser zugleich einen Ausweg an und versucht so, das Narrativ zu kontrollieren?

Leider hat der Kreml im Führen von Gaskriegen über die Jahre eine Art Spezialwissen angehäuft: etwa im Gaskrieg gegen Belarus 2004, als Moskau Minsk bei winterlichen minus 25 Grad den Gashahn zudrehte. Oder gegen die Ukraine 2005, Georgien 2006, und so weiter. Dem Nord-Stream-Betreiber Gazprom kommt dabei eine besondere Rolle zu: Wie systematisch der Konzern zu einem Kampfmittel in Putins hybrider Kriegsführung umgebaut wurde, enthüllte vor Kurzem der ehemalige Gazprom-Mitarbeiter Igor Wolobujew. Nach Invasionsbeginn wechselte der frühere PR-Manager die Seiten und nennt den Konzern heute den "Gasknüppel" Russlands, der von Putins Ex-KGB-Kumpels durchsetzt ist.

Die Bundesregierung sollte sich klarmachen: Im Gaskrieg hat sie es nicht mit Anfängern zu tun. "Bloß keinen Vorwand liefern" ist eine schwache Strategie gegen eine Machtclique, die seit 20 Jahren ihre Erpressungstaktik verfeinert.
Putin lässt Deutschland zappeln: Nur noch 20 Prozent der möglichen Gasmenge kommt durch Nord Stream 1.
Putin lässt Deutschland zappeln: Nur noch 20 Prozent der möglichen Gasmenge kommt durch Nord Stream 1. (Quelle: Jens Büttner/dpa-bilder)

Was bei der Turbinenposse unterging, waren die Vorbehalte der Ukraine gegen den Deal zwischen Kanada und Deutschland. Denn mit der Rückgabe des Ersatzteils an Gazprom verstießen die beiden Länder gegen die Russland-Sanktionen, die das Putin-Regime wirtschaftlich isolieren sollen. Doch die Kritik aus Kiew verhallte im deutschen Untergangsorchester.
Womit wir beim Thema wären:


Bröckelnden Front der Ukraine-Unterstützer in der Bundesrepublik.


Neben der AfD und Teilen der Linkspartei, die das Ende der Sanktionen mit Katastrophenszenarien herbeizureden versuchen, fordern deutsche Intellektuelle in immer neuen offenen Briefen eine De-facto-Kapitulation Kiews, um keinen Weltkrieg mit Russland zu riskieren. Und auch bei SPD und Union gibt es zunehmend Zweifler, wie lange sich der harte Kurs gegenüber Moskau aufrechterhalten lässt.

Einer der wenigen, die sich bisher aus der Deckung wagten, ist Sachsens CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer. Seine Forderung nach einem "Einfrieren" des Ukraine-Konfliktes – eine Chiffre für ein Zugehen auf Russland – brachte ihm einen Rüffel seines Parteichefs ein.

Das Machtwort des Friedrich Merz – "Nicht die Meinung der CDU!" – galt dabei vermutlich nicht nur dem irrlichternden Kretschmer. Angesprochen fühlen durften sich zudem alle heimlichen Skeptiker in der Union, die in den Russland-Sanktionen mittlerweile mehr Schaden als Nutzen für Deutschland sehen.

.Wie laut werden deutsche Politiker noch den Chor der Ukraine-Solidarität anstimmen, wenn die Wohnungen kälter werden, das Geld der Wähler knapper und der soziale Zusammenhalt weiter erodiert? Wann wird die nächste "Ausnahme" von den Sanktionen gefordert, weil ein Land um seine Gasversorgung bangt?

Markus Söder, das politische Instinkttier, umriss kürzlich in der "Bild" das deutsche Dilemma folgendermaßen: "Wäre die Bundesregierung vorbereitet, wenn Wladimir Putin erklärt, dass die Instandsetzung von Nord Stream 1 länger dauert, und er anbietet, dafür Nord Stream 2 zu nutzen?"

Der CSU-Chef suggeriert, dass auch in der Ampelkoalition irgendwo eine Sollbruchstelle lauert, an der ein Abrücken von den Russland-Sanktionen denkbar ist. Denn niemand weiß, wie schlimm es werden wird. Auch deswegen täte Olaf Scholz gut daran, seinen bisherigen Kurs zu überdenken. Der Kanzler salbt und labt die Bürger mit Entlastungsversprechen und Fußballromantik: "You'll never walk alone", legt euch wieder hin, Papa regelt das.