MEINUNG
Jetzt beginnt Merkels Abstieg
t-online.de vom Dienstag, den 25.09.2018, 18:00 Uhr; ein
Kommentar von Florian Harms
Volker Kauder als
Fraktionschef abgewählt: Jetzt beginnt Merkels Abstieg.
[Der Abstieg Merkels hat schon längst begonnen -
das ist das Finale!]
„Kanzlerin Merkel kommt aus einem Hinterzimmer der
Unionsfraktion (Quelle: Michael Kappeler/dpa)“
Foto - sehr gut!
Die Abwahl von Volker
Kauder ist ein politisches Erdbeben: Die Unionsfraktion im Bundestag stellt
sich gegen den Kandidaten der Kanzlerin.
Damit verliert Angela
Merkel das Wichtigste, was sie hat – ihre Autorität.
Es gibt Tage, die eine politische Ära beenden. So ein Tag
ist heute, am Dienstag, dem 25. September 2018. Seit genau 4.690 Tagen regiert
Angela Merkel, und nun ist absehbar: Ihre Kanzlerschaft geht zu Ende. Sie mag
sich noch weiter durch den Große-Koalition-Morast kämpfen, aber ab heute kann
ihr ganz Deutschland dabei zusehen, wie ihre Macht von Stunde zu Stunde, von
Tag zu Tag schwindet.
Die Fraktion aus CDU und CSU im Deutschen Bundestag hat in
einer geheimen Abstimmung Fraktionschef Volker Kauder abgewählt. Den Mann, der
Merkel 13 Jahre lang als wichtigste Stütze im Parlament diente. Den Mann, der
Merkel die Mehrheiten für ihre Politik organisierte, der den wachsenden Unmut
gegen sie besänftigte, der gemeinsam mit CSU-Landesgruppenchef Dobrindt die
Unionsfraktion zusammenhielt. Merkels Kanzlerschaft, viele ihrer politischen
Erfolge wären undenkbar ohne ihren ersten Offizier Kauder.
Nun muss er abtreten und Platz machen für einen Mann der
zweiten Reihe. Ralph Brinkhaus war den meisten Bundesbürgern bislang völlig
unbekannt. Er gilt als gut vernetzter, kluger Finanzpolitiker – aber
keinesfalls als Rebell. Im Gegenteil: Er hat sich nie offen gegen die Kanzlerin
gestellt, seine Kandidatur kam geschmeidig, fast leise daher.
Vermutlich war genau das sein Erfolgsgeheimnis. Er machte es
den Abgeordneten leicht, ihn zu wählen – nach dem Motto, mit dem Gerhard
Schröder einst Kanzler Kohl ablöste: Wenn ihr mich wählt, dann wird nicht alles
anders, aber vieles besser.
Brinkhaus verkörpert
die Hoffnung auf mehr Diskussion statt Kasernengehorsam. Auf eine intensive
Auseinandersetzung mit der AfD statt diese beleidigt zu ignorieren. Auf mehr
Impulse, um jene Bürger, die von der CDU und der politischen Elite enttäuscht
sind, zurückzugewinnen. Auf eine Kommunikation, die weniger auf
Hinterzimmerabsprachen und gestelzte Phrasen als auf ehrlichen Klartext setzt.
All das dürfen sich die Unionsabgeordneten von Brinkhaus
erhoffen, und darin steckt die Chance für die CDU, sich zu erneuern statt zu
enden wie die SPD.
Das Votum der Abgeordneten ist mutig, es ist [für deutsche
Verhältnisse] revolutionär. Die Parlamentarier stellen Kauder vom Platz und
zeigen Merkel die dunkelgelbe Karte.
Sie signalisieren ihr: Deine Zeit geht zu Ende, wir wollen
uns jetzt für den Neuanfang aufstellen.
Zwischen der waidwunden SPD und der tollwütigen CSU in der
Regierung auf der einen sowie der zu neuem Selbstbewusstsein erwachten
Unionsfraktion auf der anderen Seite wird Merkel ab jetzt kaum noch politische
Beinfreiheit haben. Sie wird jedes Vorhaben, jedes Projekt, jede
Gesetzesinitiative mühsam abstimmen, abklopfen, abschwächen müssen, damit sie
allen Interessen entspricht.
Nach einer
kräftezehrenden Regierungsbildung, einem unsäglichen Asylstreit mit der CSU und
dem desaströsen Umgang mit der Personalie Maaßen hat Angela Merkel heute, am
25. September 2018, endgültig das Wichtigste eingebüßt, was eine Kanzlerin
besitzt: ihre Autorität.
Ab jetzt beginnt ihr
politischer Abstieg. Kaum vorzustellen, dass er sich noch drei Jahre lang bis
zum nächsten regulären Bundestagswahltermin hinzieht.