Montag, 4. Juni 2012

Existenzrecht Israels: Gauck rückt von Merkels Staatsräson-Formel ab


Bundespräsident Joachim Gauck wünscht sich während seiner Tischrede beim Staatsbankett, "dass Israel in der Siedlungspolitik ein Zeichen setzt"

Welt online, 29.05.2012, verfasst von Daniel Friedrich Stumm

Bei seinem Israel-Besuch distanzierte sich Bundespräsident Gauck von der Merkel-Definition, dass Israels Existenzrecht Teil der deutschen Staatsräson sei:

"Ich will nicht in Kriegsszenarien denken", sagt der Bundespräsident mit Blick auf einen denkbaren Krieg Israels etwa mit dem Iran. Das "Staatsräson"-Wort könne die Bundeskanzlerin noch in "enorme Schwierigkeiten" bringen, sagt Gauck.

Gauck wirbt für eine Zwei-Staaten-Lösung.

Am Dienstagabend ist Joachim Gauck zum zweiten Mal binnen weniger Stunden zu Gast im Park des israelischen Präsidentenpalastes. Shimon Peres, sein Amtskollege, hat zum Staatsbankett geladen. So sitzen Peres und Gauck neben einander, der 88-Jährige Peres, der in vielen Jahrzehnten schon ziemlich jeden politischen Posten in Israel bekleidet hat und Gauck, der seit März Bundespräsident ist, und nur ein halbes Jahr seines Lebens einem Parlament angehörte.
Wer aber meint, Gauck trete als Staatsoberhaupt in der Probezeit oder gar als Underdog auf, der sieht sich getäuscht. Rhetorisch galant umgarnt der Bundespräsident seinen Amtskollegen und seine Zuhörer. Zwar redet Gauck nur gut zehn Minuten lang. Doch dabei trifft er den Ton.
Langeweile herrscht jedenfalls während seiner Rede an den runden Tischen mit den hellgelben Rosen und den diversen Weingläsern nicht. Gauck spricht pathetisch, und grenzt sich damit ab vom Formel- und Floskeldeutsch, das üblich ist in der Welt der Diplomatie.

Gauck dankt Gott, dass es Peres gibt

Der Nicht-Politiker Gauck sagt Sätze wie: "Mein Herz ist erfüllt von Dankbarkeit." Oder: "Ich bin bewegt, dankbar und demütig." Mit warmen Worten würdigt Gauck Peres. Die Deutschen bewunderten ihn als "einen außergewöhnlichen Vertreter Israels in der Welt", sagt Gauck: "Wir danken Gott, dass es Sie gibt." Vielleicht kann nur ein Theologe so reden, ohne dass es aufgesetzt oder gekünstelt wirkt. Vorwerfen mag man Gauck seine Wortwahl nicht. Sie ist authentisch. 
Schon bei den Gesprächen mit den führenden politischen Köpfen am Dienstagnachmittag beeindruckt Gauck seine Entourage mit einem durchaus prononcierten und selbstgewissen Auftreten.  Gewiss, ein Fan von Israels Außenminister Avigdor Lieberman ist Gauck nicht.

Gauck hält wenig vom Siedlungsbau 

Während sein Vorgänger Christian Wulff vor eineinhalb Jahren in seinem Gespräch mit Lieberman mehr Fragen stellte und das Kennenlernen betonte, ließ Gauck deutlich erkennen, was er von dem Siedlungsbau der Israelis hält – nämlich wenig. So berichten es Teilnehmer der Runde. Herzlich sei die Unterredung mit Peres gewesen, heißt es. Doch auch hier habe Gauck sich keineswegs als außenpolitischer Anfänger präsentiert.

Am Abend, während seiner Tischrede beim Staatsbankett, wirbt Gauck für einen "dauerhaften Frieden". Dieser aber sei nur möglich, wenn "Israel und ein unabhängiger, lebensfähiger palästinensischer Staat Seite an Seite in Sicherheit und in anerkannten Grenzen leben können". Mutige Schritte seien erforderlich, und er wünsche sich, "dass Israel in der Siedlungspolitik ein Zeichen setzt". Einfach macht es sich Gauck damit nicht. Und um Kritik vorzubeugen, erwähnt er, er teile die Haltung von Bundesregierung und EU.

Hält Merkels "Räson"-Aussage für gewagt 

Mit seinem Abrücken von Angela Merkels Formel vom Existenzrecht Israels als Teil der "deutschen Staatsräson" begibt sich Gauck indes auf rutschiges Parkett. "Bestimmend" für die deutsche Politik seien die Sicherheit und das Existenzrecht Israels, relativiert er Merkels Definition von vor vier Jahren.

Auf Nachfrage erläutert Gauck dies unter Verweis auf die in der deutschen Öffentlichkeit unbeliebten Auslandseinsätze der Bundeswehr, namentlich führt er Afghanistan an. "Ich will nicht in Kriegsszenarien denken", sagt der Bundespräsident mit Blick auf einen denkbaren Krieg Israels etwa mit dem Iran. Das "Staatsräson"-Wort könne die Bundeskanzlerin noch in "enorme Schwierigkeiten" bringen, sagt Gauck.
Es ist eher ungewöhnlich, dass sich der erste Mann im Staate so über den Regierungschef äußert. Gauck will deutlich machen, dass er Merkels Grundaussage zwar ernst nimmt, aber für gewagt hält. In seinen Augen ist längst nicht alles, was moralisch richtig ist, politisch zu gestalten.
Die Frau, die noch im März intern warnte, sie sei zu jedem denkbaren Präsidenten bereit "außer Gauck", dürfte mit Argusaugen verfolgen, welch selbstbewusstes Staatsoberhaupt da nun im Bellevue amtiert – und wie unabhängig dieser Mann international auftritt.     
Gauck pocht in Israel auf Zwei-Staaten-Lösung .

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