German-Foreign-Policy vom 05.12.2013; Link:
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58750
Termin beim Botschafter
Wie aus Mitteilungen der extrem rechten Partei Swoboda
("Freiheit") hervorgeht, hat ihr Anführer Oleh Tiahnybok bereits Ende
April Kontakt zum Botschafter Deutschlands in der Ukraine, Christof
Weil, aufgenommen. Demnach sei es bei einem gemeinsamen Gespräch
zunächst allgemein um die "politische Situation in der Ukraine"
gegangen. Man habe sich zudem über "die Notwendigkeit" ausgetauscht,
dass die Ukraine "das Assoziierungsabkommen mit der EU" unterzeichnen
müsse. Es sei dann auch über "Auswege aus der politischen Krise"
diskutiert worden. Tiahnybok, der dem Botschafter explizit versichert
haben will, Swoboda werde "ihr Bestes geben, um den Weg für das
Assoziierungsabkommen freizumachen", habe sodann weiterreichende
Vorschläge gemacht, teilt Swoboda mit. Er habe "betont", "die
internationale Gemeinschaft" solle "die derzeitige Politik der
Janukowitsch-Administration verurteilen", um dazu beizutragen, "die
Herrschaft des Volkes durchzusetzen und das anti-ukrainische Regime (in
Kiew, d. Red.) zu stürzen".[1]
"Moskowitisch-jüdische Mafia"
Das Treffen des deutschen Botschafters mit dem
Swoboda-Anführer, der einst mit der Äußerung von sich reden gemacht hat,
die Ukraine werde von einer "moskowitisch-jüdischen Mafia" kontrolliert
[2], war Teil einer Reihe von Zusammenkünften zwischen der Parteispitze
von Swoboda und teils hochrangigen Diplomaten aus der EU und
Nordamerika. Bereits am 23. Dezember 2012 hatte Tiahnybok ein Gespräch
mit dem Botschafter Litauens in der Ukraine, Petras Vaitiekunas,
geführt. Es folgten Treffen mit den Botschaftern der USA und Tschechiens
(Januar), Ungarns, Israels und Dänemarks (Februar) und eine
Zusammenkunft des Stellvertretenden Sprechers des ukrainischen
Parlaments, Ruslan Koschulinski, mit der stellvertretenden polnischen
Außenministerin. Im April tauschte sich Koschulinski gemeinsam mit
Vertretern von Batkiwschtschina und von UDAR mit den Außenministern
Polens, Litauens, der Niederlande und Dänemarks sowie mit dem Vertreter
der EU in Kiew aus. An späteren Gesprächen nahmen neben Funktionären von
Swoboda - meist Tiahnybok - und zuweilen von Batkiwschtschina und UDAR
etwa der Botschafter Kanadas in der Ukraine oder der
US-Vize-Außenminister für Europa und Eurasien, Eric Rubin, teil. Am 30.
September wurde Tiahnybok einer Mitteilung von Swoboda zufolge von der Staatspräsidentin Litauens, Dalia Grybauskaite, persönlich empfangen.
Von der NPD zur EU
Die umfassenden Kontakte zwischen diplomatischen
Stellen Deutschlands und weiterer EU- sowie NATO-Staaten sind nicht nur
deshalb bemerkenswert, weil Swoboda eindeutig zur extremen Rechten zu
zählen und in deren Milieu bestens vernetzt ist.[3] So nahm der
Swoboda-Beauftragte für internationale Kooperation, Taras Osaulenko, am
23./24. März 2013 an einem Treffen teil, bei dem ein stellvertretender
Bundesvorsitzender der NPD als Redner angekündigt war. Wenige Wochen
vorher hatte Tiahnybok seine ersten Treffen mit Diplomaten aus der EU
und den USA abgehalten; wenige Wochen später traf er den deutschen
Botschafter in Kiew. Rund einen Monat nach Tiahnyboks Zusammenkunft mit
Botschafter Weil besuchte eine Swoboda-Delegation die NPD in Sachsen,
einer Hochburg der Partei.[3] Ende August nahm der Swoboda-Beauftragte
Osaulenko an der Eröffnung eines Swoboda-Büros in Brüssel teil, das die
Beziehungen zur EU und zur NATO pflegen soll; im September traf er den
US-Botschafter in Kiew, im Oktober führte er Gespräche mit Vertretern
der neofaschistischen Partei Forza Nuova (Italien), die ihrerseits
Kontakte zur NPD unterhält. Mitte Oktober feierte Swoboda - eigenen
Angaben zufolge mit über 20.000 Teilnehmern - die Gründung der
Ukrainischen Aufstandsarmee (Ukrajinska Powstanska Armija, UPA) vor 71
Jahren, am 14. Oktober 1942. Die UPA ermordete in faktischer Kooperation
mit deutschen Truppen unter anderem bis zu 100.000 Polen und wird daher
vom polnischen Staat bis heute als "verbrecherische Organisation"
eingestuft. Einen Monat vor der Gedenkfeier hatte der EU-Botschafter in
der Ukraine, der Pole Jan Tombiński, bei einem Treffen mit
Swoboda-Funktionären angesichts der immer engeren deutsch-europäischen
Kooperation mit der Partei notgedrungen erklärt: "Man muss auf die
Zukunft blicken, nicht auf die Vergangenheit."
Regime Change
Darüber hinaus verdienen die Kontakte westlicher
Diplomaten zu Swoboda auch bezüglich der aktuellen politischen
Forderungen der ukrainischen Opposition Beachtung. Berichten deutscher
Journalisten, denen keine herausragende Sympathie für die Regierung
Janukowitsch nachgesagt werden kann, ist zu entnehmen, dass ein offenbar
erheblicher Teil der Kiewer Demonstranten auch den im Westen beliebten
ukrainischen Oppositionspolitikern "seit dem Scheitern der Revolution in
Orange allgemein misstraut". Insofern habe sich die neue
Protestbewegung zunächst strikt darauf beschränkt, die Unterzeichnung
des EU-Assoziierungsabkommens zu verlangen, von Parteien aber dezidiert
Abstand gehalten - und nicht für einen Regimesturz plädiert. Erst die
Anführer der Oppositionsparteien hätten diesen zu ihrer Forderung
gemacht. Gemeint sind vor allem Tiahnybok, Klitschko und der
Batkiwschtschina-Vertreter Arsenij Jatsenjuk. Alle drei hielten sich
letzte Woche am Rande des Gipfels in Vilnius zu Gesprächen bereit;
Klitschko etwa traf mit dem einflussreichen außenpolitischen Berater der
Bundeskanzlerin, Christoph Heusgen, persönlich zusammen. Nach ihrer
Rückkehr, "am Samstag", hätten die drei dann "intern vorgetragen", "ihr
Ziel sei ein politischer Machtwechsel: Rücktritt der Regierung,
vorgezogene Parlamentswahl", wird berichtet. Angeblich hätten sie sich
"auch schon auf eine Postenaufteilung im Fall eines Sieges geeinigt".[4]
Der anvisierte Umsturz entspricht also weniger den ursprünglichen
Forderungen der Masse der ukrainischen Protestbewegung als vielmehr den
Plänen der sich mit Berlin und Brüssel eng abstimmenden Parteispitzen
der Opposition.
"Schlagt die Juden"
Den Planungen zufolge wäre im Falle eines Umsturzes
damit zu rechnen, dass in Kiew eine extrem rechte Partei an der
Regierung beteiligt wird - offenkundig mit Billigung Berlins. Einen
optischen Eindruck davon, wie die Dinge schon jetzt stehen, bietet ein
großformatiges Foto, das eine der einflussreichsten deutschen
Tageszeitungen am Dienstag abdruckte. Es zeigt Aktivisten, die das
Kiewer Rathaus besetzt halten; im Bildmittelpunkt prangt, angebracht im
Innern des Rathauses, ein Swoboda-Plakat. Es zeigt die zwölf EU-Sterne,
neben ihnen ein Swoboda-Parteisymbol.[5] Eine Pro-EU-Regierung in der
Ukraine würde sich in der Tat auf Kräfte stützen, die in der Tradition
von NS-Kollaborateuren stehen und Beziehungen zur NPD unterhalten.
Parteichef Tjahnybok hat die Ukrainer schon vor geraumer Zeit "soziale
Nationalisten" genannt, die in Kürze eine "dritte Revolution" beginnen
könnten. Swoboda-Anhänger treten zuweilen bei Riots mit der Parole
"Schlagt die Juden" auf.[6]
Geostrategische Motive
Veranlasst ist die Unterstützung, die Berlin dem
Bündnis mit der extremen Rechten in der Ukraine zukommen lässt, durch
geostrategische Motive, die die deutsche Ostexpansion schon lange
prägen. Wirksam wurden sie erstmals im Ersten Weltkrieg, dessen
hundertster Jahrestag im kommenden Jahr europaweit begangen wird.
german-foreign-policy.com berichtet am morgigen Freitag.
Weitere Berichte und Hintergrundinformationen zur aktuellen deutschen Ukraine-Politik finden Sie hier: Protestbündnis für Europa, Probleme der Ostexpansion und Ein breites antirussisches Bündnis.
[1] Oleh Tyahnybok meets with Germany's ambassador; en.svoboda.org.ua 29.04.2013
[2] Rachel Ehrenfeld: Svoboda Fuels Ukraine's Growing Anti-Semitism; www.algemeiner.com 24.05.2013. S. auch Eine Revolution sozialer Nationalisten
[3] s. dazu Ein breites antirussisches Bündnis
[4] Konrad Schuller: Weihnachtsbaum als Etappenziel; Frankfurter Allgemeine Zeitung 02.12.2013. Konrad Schuller: Die Revolution und ihre Reporter. Frankfurter Allgemeine Zeitung 04.12.2013
[5] Frankfurter Allgemeine Zeitung 03.12.2013, Seite 3
[6] s. dazu Eine Revolution sozialer Nationalisten
[2] Rachel Ehrenfeld: Svoboda Fuels Ukraine's Growing Anti-Semitism; www.algemeiner.com 24.05.2013. S. auch Eine Revolution sozialer Nationalisten
[3] s. dazu Ein breites antirussisches Bündnis
[4] Konrad Schuller: Weihnachtsbaum als Etappenziel; Frankfurter Allgemeine Zeitung 02.12.2013. Konrad Schuller: Die Revolution und ihre Reporter. Frankfurter Allgemeine Zeitung 04.12.2013
[5] Frankfurter Allgemeine Zeitung 03.12.2013, Seite 3
[6] s. dazu Eine Revolution sozialer Nationalisten
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